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Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer

Titel: Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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ihren Ausdruck in einer eigenen Schrift finden, und die ganze vergangene Geschichte wurde nach möglichen nationalen Vorbildern durchkämmt. In der Schule mussten die Kinder Aufsätze zum Thema: »Warum bin ich ein Weißrusse?« schreiben.
    Dieser demokratische Nationalismus hat sich aber nicht lange gehalten. Die Nationaldemokraten wurden vom ehemaligen Kolchosvorsitzenden Lukaschenko abgelöst. Unter seiner Führung ist Weißrussland den so genannten Dritten Weg gegangen: ein kapitalistischer Kartoffel-Sozialismus mit kooperativen Elementen, ein Modell, das man dem Westen nur schwer erklären kann. Alles ist erlaubt und zugleich verboten. Die Eigeninitiative wird gefördert, aber auch bestraft.
    Man handelt nach Gefühl. Lukaschenko, der von vielen Weißrussen halb zärtlich, halb ironisch »Papulchen« genannt wird, sorgte dafür, dass Arm und Reich die gleiche Zimmertemperatur haben und in die gleiche Kartoffel beißen. Lukaschenko mag einfache Rentner und kann politische Oppositionelle nicht ausstehen. »Ein Volk, ein Schicksal, eine Meinung«, lautet sein Kredo. Mit der nationalen weißrussischen Sprache machte er kurzen Prozeß. »Liebe Brüder und Schwestern«, sagte er in einer Fernsehansprache an sein Volk. »Mir sind zwei große Sprachen auf der Welt bekannt: Russisch und Amerikanisch. Macht euch nichts vor, wählt eine aus.«

Bratkartoffeln
    Fast alle Schriftsteller, die ich kenne, gehen joggen, sitzen zu Hause auf einem Fahrrad ohne Räder und gehen regelmäßig schwimmen. Sie müssen ständig auf ihr Gewicht achten. Schuld daran ist ihre schöpferische Arbeit. Sie ist mit wenig Bewegung und vielen zusätzlichen Kalorien verbunden, die durch täglichen Alkoholkonsum anfallen.
    Jedes Mal, wenn ich auf die Waage steige, erinnere ich mich an meine Zeit in der sowjetischen Armee. Damals hatten wir Soldaten ein ganz anderes Problem: zu viel Bewegung und zu wenig Kalorien! Wenigstens im ersten Jahr war der Mangel an Essen neben dem Mangel an Sex das Hauptthema aller Soldatengespräche. Wenn ein Soldat Besuch von den Eltern oder seiner Freundin bekam, wussten spätestens nachts alle Bescheid, denn jeder Soldat roch im Schlaf nach den Delikatessen, die er tagsüber verzehrt hatte. Der aus Moldawien roch nach leicht angebratener hausgemachter Schweinswurst, der aus Sibirien roch nach Pelmeni und Wodka, der aus Usbekistan nach Weintrauben und Kumys. Unser weißrussischer Kamerad Gleb hatte nie Besuch, roch aber trotzdem jede Nacht deutlich nach Bratkartoffeln. Mein Freund Andrej, der vor der Armee an einem pädagogischen Institut studiert und deswegen den Spitznamen Professor bekommen hatte, stellte dazu eine gewagte These auf: Gleb würde bloß von Bratkartoffeln träumen, jedoch so intensiv, dass seine Träume sich in Gerüchen materialisierten.
    Mir kam diese Theorie zu wissenschaftlich vor. Ich sprach Gleb wegen der Bratkartoffeln an und fand heraus, dass er tatsächlich einen Sack Kartoffeln aus der Offiziersküche entwendet und gelernt hatte, ohne Feuer, ohne Pfanne und ohne Fett Kartoffeln zu braten. Dafür schnitt er die Kartoffeln sehr dünn, legte sie auf ein ebenfalls sehr dünnes Metallblech und benutzte ein elektrisches Bügeleisen als Herd. Statt Fett nahm Gleb technisches Vaselin in geringen Mengen. Die Vorbereitung des Gerichts war mühsam und anstrengend. Einen ganzen Tag dauerte das Braten, das Aufessen dagegen nur wenige Sekunden. Doch wir hatten Zeit und halfen Gleb gerne bei seinen weißrussischen kulinarischen Aktivitäten. Tag für Tag erzählte er uns Geschichten aus seinem Land und vor allem aus seiner geliebten Heimatstadt Novopolozk, die mir deswegen heute noch vertrauter als meine eigene Heimatstadt ist. Es ist eine typische weißrussische Stadt inmitten von Kartoffelfeldern mit einer durchschnittlichen sowjetischen Ausstattung: eine Straßenbahnlinie, eine Schule, ein Kindergarten und fünf Chemiekombinate.
    Für alle Einwohner galten strenge Sicherheitsvorkehrungen. Jeden zweiten Tag ging auf irgendeinem Kombinat die Alarmanlage los. Die gesamte Bevölkerung musste sich auf der Stelle Gasmasken überziehen und in die Keller gehen. Oft wurde der Alarm vom zuständigen Personal missbraucht. Wenn ein Brigadier eine Schlange vor dem Lebensmittelladen verscheuchen wollte, stellte er die Sirenen an; wenn der Chef der Sicherheitskontrolle in die Sauna ging, löste er Alarm aus; wenn ein Kombinatsleiter seiner Frau nicht mehr am Telefon zuhören wollte, drückte er ebenfalls auf den

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