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Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer

Titel: Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Töchtern im Teenageralter: Aurora, Venera und Zemfira. Die eine war rothaarig, die andere blond und die dritte brünett. Marat selbst hatte eine Vollglatze und war Dichter, Denker und Maler von Beruf. Er übersetzte außerdem alttatarische und baschkirische Poesie ins Russische und illustrierte Volksmärchen. Er tat also nichts Vernünftiges und hatte außer Äpfeln nichts zu essen. Marat spürte aber seine Armut nicht, er war seiner schöpferischen Tätigkeit zu sehr verfallen. Als Dichter konnte Marat keiner regelmäßigen Arbeit nachgehen, denn jede Sekunde konnte ihn seine Muse besuchen, die sehr launisch war. Sie besuchte Marat täglich, aber jedes Mal dort, wo er sie am wenigsten erwartete. Sie besuchte ihn auf dem Klo. Dann schrie er nach seinen Töchtern, sie sollten ihm sofort sein Notizbuch und einen Stift unter der Toilettentür durchschieben. Sie besuchte ihn, wenn er aus dem Haus ging und gerade nichts zum Schreiben dabeihatte. Deswegen ging Marat kaum aus dem Haus. Sie besuchte ihn im Schlaf, aber beim Aufwachen konnte er sich an nichts mehr erinnern, deswegen blieb er die meiste Zeit wach.
    Wir sprachen mit seinen Töchtern, wie sie es in Kasan schafften, sich zu ernähren. Es musste da ein Geheimnis geben, dachten wir. Marat selbst interessierte sich anscheinend nicht fürs Essen. Er jagte die Muse und ernährte sich hauptsächlich von Tee und Zigaretten der Marke »Prima«. Seinen Tee trank er mit Äpfeln, das war seine tatarische Küche.
    Die sozialistische Planwirtschaft funktionierte nach einer seltsamen, nicht nachvollziehbaren Logik. In der Regel gab es nirgends etwas, manchmal aber tauchten die merkwürdigsten Sachen an den entlegensten Orten auf. Die Töchter erzählten uns, es existiere ein Laden in Kasan, in dem es immer Fleischprodukte gäbe.
»Sie haben dort jedes Mal etwas anderes«, erzählten uns die Töchter. »Innereien, Hufe, Rinderleber oder Zungen.«
    Keine Hufe der Welt konnten uns erschrecken, so hungrig waren wir inzwischen. Wir hätten sogar Hörner gegessen. Also gingen wir alle zusammen zu diesem Laden. An dem Tag gab es aber keine Hufe und Hörner, sondern nur Euter dort zu kaufen. »Ich mache euch Karik Karta«, meinte Marat, »eine alttatarische Speise.« Ich hatte noch nie Karik Karta gegessen, mein Freund Katzman auch nicht. Wir kauften fünf Kilo Euter.
    »Die Euter müssen erst einmal für ein paar Tage in Wasser gelegt werden«, erklärte uns Marat. Aber angesichts des großen Hungers könnten wir die Dinger auch gleich kochen. Die Töchter setzten Wasser auf. Die Euter färbten das Wasser weiß, wir mussten den Schaum abschöpfen. Die ganze Familie versammelte sich um den Herd. Nach fünf Stunden Kochen war das Wasser im Topf noch immer milchig weiß. Marat steckte seinen Finger in das kochende Wasser, rubbelte an den Eutern und schüttelte den Kopf. Noch nicht fertig! Wir wechselten das Wasser und tranken das Milchkonzentrat. Es schmeckte nicht übel, irgendwie exotisch. Danach kochten wir die Euter weiter. Das Kochen dauerte fast die ganze Nacht. Die Töchter brachten einen Kassettenrekorder, und es kamen einige Nachbarn, die sich für unser kulinarisches Experiment interessierten. Sie brachten ein wenig Brot, hausgemachte Wurst und Kartoffeln. Irgendwie wurden zwischenzeitlich alle satt, und mein Freund Katzman bekam sogar Durchfall, weil er zu dem Milchkonzentrat noch Äpfel gegessen hatte. Die Euter kochten immer weiter und wurden langsam gelb.
»Falsche Farbe, noch nicht fertig«, murmelte Marat.
    Noch in der gleichen Nacht beschlossen Katzman und ich, Kasan in Richtung Astrachan zu verlassen. Ich weiß also noch immer nicht, wie Euter schmecken. Und welche Farbe diese Dinger am Ende annehmen. Isst man Karik Karta nun grün, blau oder rot? Vielleicht kocht Marat sie immer noch… Die wichtigste kulinarische Erkenntnis, die ich aus Kasan mitgenommen habe, lautet aber: Beim Kochen kommt es nicht nur auf die Zutaten an.

Tatarische Küche
Alle Zutaten sind für vier Personen berechnet.
Vorspeise
Etschpotschmack (Dreieckskuchen)
     
Zutaten:
     
200 g Hefeteig, 200 g Lamm- oder Rinderfilet, 4 Kartoffeln, 60 g Butter, 1 Zwiebel, 2 Eier, Salz, Pfeffer, Fleischbrühe
     
Zubereitung:
    Das Fleisch und die Kartoffeln in walnussgroße Stücke schneiden, in eine tiefe Schale geben, klein geschnittene Zwiebel zufügen, salzen, pfeffern, gut vermengen. Den Teig ausrollen und mit einem Glas Kreise ausstechen. Auf jeden Kreis Fleischfüllung geben, die Fladenränder von

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