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Kuckucksmädchen

Kuckucksmädchen

Titel: Kuckucksmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Lohmann
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Ich hatte es geahnt. Die beiden geben ihre Tochter nicht gerne heraus. Anouk steht vor mir, das Baby an sich gepresst, und in ihren Augen sehe ich, wie die Panik versucht, sich vor mir zu verstecken. Max hört auf, Marzipanmöhrchen zu zerteilen, und sieht Anouk an. Lasse und Bosse hören auf zu flüstern und halten die Luft an.
    Aber auch ich halte durch, lasse die Arme erwartungsvoll ausgestreckt und bewahre angestrengt meinen nichts ahnenden Gesichtsausdruck.
    Sie muss mir das Kind geben, wenn sie von mir nicht für alle Zeiten als klammernde Übermutter gesehen werden will. Sie weiß das, ich weiß das. Die Situation ist so eindeutig, dass ich glaube, sogar das Baby weiß es und erstarrt. Aber dann gibt sich Anouk einen Ruck. Nach einer gefühlt ewigen Sekunde bewegt sie sich, geht einen Schritt auf mich zu und legt mir das Babybündel in den Arm. Die Welt gleitet wieder in ihre natürliche Zeitschiene, und die Spannung zwischen uns lockert sich ein wenig. Das Baby strahlt mich an, und ich strahle mit der größtmöglichen Anstrengung zurück.
    Jetzt bin nämlich ich dran zu beweisen, dass die Welt nicht untergeht, wenn man sein Baby in die Arme einer anderen Frau legt. Das bedeutet, ich darf auf keinen Fall zulassen, dass das Kleine auch nur das Gesicht verzieht. Ich streichle seinen Bauch, mache große Kulleraugen und dazu alle Geräusche, von denen ich hoffe, dass Babys sie lieben. Es funktioniert. Im Augenwinkel sehe ich, dass Anouk sich an meinen Max geschmiegt hat, und leise höre ich sie sagen: »Das geht ja …« Natürlich mit unverhohlenem Erstaunen in der Stimme.
    Stimmt, geht doch, denke ich auch und will mich gerade entspannen und das niedliche Ding auf meinem Schoß etwas kennenlernen, da löst sich Anouk von links, kommt auf mich zu, nimmt mir das Kleine aus den Armen und sagt: »So, und jetzt wird gewickelt.«
    Meine Oberschenkel, auf denen eben noch dieses kleine bisschen Mensch seine Wärme ausgestrahlt hat, werden kalt. Ich schaue Anouk hinterher, die eilig den Raum verlässt. Die restlichen Zwerge wackeln hinterher. Geschickt hat sie eine ihrer stärksten Karten ausgespielt: die Wickelkarte. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaue ich Max an und hoffe, mit ihm ein Kopfschütteln über frischgebackene Mütter zu teilen. Aber Max scheint nicht daran interessiert, sich mit mir zu verbrüdern.
    Â»Super, jetzt wird gewickelt!«, ruft er enthusiastisch und schlägt sich dabei auf die Schenkel. »Willst du gucken?«
    Â»Nein danke«, sage ich bei dem Gedanken, zu fünft vorm Wickelbrett zu stehen und wieder nur zuzuschauen, wie das Baby herumliegt.
    Max zuckt mit den Schultern, mit einer Mischung aus Unverständnis und Mitleid, und läuft dann Anouk hinterher, obwohl er sich diese Wickelgeschichte bestimmt achtmal am Tag ansehen kann oder wie oft auch immer so ein Kind gewickelt wird. Er läuft Anouk hinterher, anstatt die kurze Zeit zu nutzen, mit mir alleine zu sein. Ich bin furchtbar eifersüchtig auf diese Frau. Eifersüchtig auf Anouk, eifersüchtig auf Lasse und Bosse und eifersüchtig auf dieses winzige Baby, das so viel später als ich in Max’ Leben getreten ist und schon jetzt sein ganzes Herz in Beschlag genommen hat, ohne mir das kleinste Stückchen davon übrig zu lassen.
    Viel später stehen wir dann doch alleine mit leeren Tassen in den Händen am Küchenfenster. Im Garten sitzt Anouk mit den Kindern im Sandkasten. Seit einer halben Stunde baut sie voller Engelsgeduld kleine Türme, die immer wieder mit Begeisterung zerstört werden.
    Â»Was machst du hier, Wanda?«
    Â»Jonathan hat mir einen Antrag gemacht. Er will mit mir zusammenziehen, Kinder kriegen, eine Familie aufbauen, die volle Palette.«
    Â»Du klingst nicht begeistert. Und du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Was machst du hier?«
    Â»Ich versuche zu verstehen, was ich will.«
    Â»Indem du dir anschaust, was du schon verpasst hast?«
    Â»Vielleicht. Vielleicht bin ich auch noch nicht so weit. Oder Jonathan ist nicht der Richtige.«
    Â»Und jetzt hast du Angst, dass ich vielleicht der Richtige gewesen sein könnte …«
    Â»Zum Beispiel. Es könnte aber auch sein, dass es den Richtigen gar nicht gibt. Und ich die ganze Zeit auf ihn warte, während die anderen sich einfach mit weniger zufriedengeben und weitermachen, während ich noch dumm in der Gegend rumstehe. Es

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