Kuckucksmädchen
schlank und hat genau die richtige Menge Bart im Gesicht. Seine etwas zu langen Haare sind noch immer faszinierend hell, der Ãbergang zum Grau wird sich für ihn irgendwann einmal einfach und unproblematisch anfühlen. Er wird mit jedem verdammten Jahr attraktiver werden.
Max tritt einen Schritt zur Seite, macht mit dem Arm eine einladende Geste und sagt dazu nur ein einziges, fürchterliches Wort:
»Hereinspaziert!«
Wie alt sind wir geworden, dass wir gezwungen sind, solche Wörter zu benutzen?, frage ich mich, während ich in den rosafarbenen Uterus hineinpurzele. Ich kenne andere BegrüÃungen von Max. Erinnere mich an Umarmungen, so feste, dass meine Rippen leise knacksten und mir für kurze Zeit der Atem wegblieb. Daran, wie ich mich umdrehte, mich leicht nach vorne beugte, um Luft zu holen, und dabei schon eine seiner riesigen Pranken auf meine Pobacke klatschte. Aber das scheint vorbei zu sein. Max schlieÃt die Tür hinter mir und grinst mich etwas schief an. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass in der Küche am Ende des Flures jemand sitzt. Seltsam, wie sich Besitzansprüche verschieben. Und weil ich das nicht wahrhaben will, weil doch er es ist und ich es bin, weil es doch wir sind und alles andere lächerlich wäre, gehe ich nun auf ihn zu, schmeiÃe mich ihm in die kräftigen Arme, drücke mich an ihn und atme einmal tief ein. Beim Ausatmen sage ich: »Hallo« und lasse ihn los, als ich merke, dass irgendwie nicht richtig zurückgedrückt wird.
»Schön, dass du da bist«, sagt Max laut und wirft einen schnellen Blick in Richtung Küche. Ich verstehe. Ich muss mich zusammenreiÃen, das hier ist anscheinend ein politisch korrektes Treffen. SchlieÃlich sind jetzt Kinder im Spiel. Wir lösen uns voneinander, und als ich mich umdrehe, landet seine Hand auch wie selbstverständlich nicht auf meinem Po. Ich gehe über die breiten Parkettdielen in Richtung Küche und fühle Max dabei in meinem Rücken. »Das ist Anouk«, stellt er mir seine Freundin über die Schulter vor.
»Hallo, ich bin Wanda. Freut mich, dich kennenzulernen.« Anouk scheint sich nicht wirklich zu freuen, erschrocken legt sie den Zeigefinger an die Lippen, um mir zu bedeuten, dass ich leiser sprechen soll. Mit der anderen Hand deutet sie auf ein schlafendes Bündel, das sie wie eine Affenmami vor ihren Bauch geschnallt hat.
»Oh, entschuldige, schläft es?«, flüstere ich übertrieben leise und ärgere mich insgeheim.
Anouk, jetzt etwas freundlicher, nickt und fährt mit ihren Fingerspitzen sanft über den kleinen Haarkamm, der als einziger Teil des Babys aus dem Bündel herausschaut.
Maxâ Freundin trägt mindestens KleidergröÃe zweiundvierzig und sieht aus wie etwas, in das man sich hineinlegen möchte. Sie hat eine wunderbare bronzefarbene Haut, einen perfekt geschwungenen Mund und die sanften braunen Augen einer glücklichen Biokuh. Ich sehe ihr an, dass sie jedes einzelne Kleidungsstück selbst näht, mit teuren Stoffen aus putzigen Läden in angesagten Berliner Stadtteilen. Sie, das Baby und die zwei malenden Kleinkinder auf dem KüchenfuÃboden tragen einen wilden Mix aus Pünktchen, Karos, Rot, Grün und Pink. An fast allen Textilien hängt irgendeine Art von Bommeln.
Die vier sehen aus wie ein wandelndes Bullerbü-Klischee. Nur vor Max haben die Bommeln haltgemacht. Aber mit seinem skandinavischen Aussehen passt er trotzdem zur Familie. Er nennt mir die Namen der zwei Jungen, die auf dem FuÃboden gerade hoch konzentriert versuchen, Eisenbahnschienen auf DIN-A3-Papier zu malen. Sie flüstern ein leises Hallo. Entweder sie sind geradezu widerlich gut erzogen oder einfach froh, dass das Baby endlich einmal nicht schreit, sondern schläft. »Hallo«, sage ich zurück und denke weiter: Ich bin übrigens Wanda, die Frau, die eure Mutter geworden wäre, wenn euer Vater nicht aus Versehen diese Biokuh kennengelernt hätte.
Die Namen der Jungen vergesse ich in dem Moment, in dem ich sie höre. Ein zweites Mal danach zu fragen geht leider nicht. Eltern zu fragen »Wie heiÃt dein Kind noch mal?« deutet doch immer irgendwie darauf hin, dass der ausgesuchte Name entweder etwas zu gewöhnlich oder etwas zu ungewöhnlich klingt. Also taufe ich sie in Gedanken vorübergehend Lasse und Bosse und nicke erleichtert, als Max vorschlägt, mir die restliche Wohnung zu
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