Kuckucksmädchen
zeigen.
Auch vor der Wohnung hat Anouk nicht haltgemacht, im Wohnzimmer steht auf dem obligatorischen Fischgrätenparkett der unvermeidliche Riesenholztisch für die gemütlichen Abende mit vielen anderen bunten Freunden. Die unterschiedlich gestrichenen, aber â ganz wichtig â abgewetzten Stühle sind lässig drum herum gruppiert und erwecken den Eindruck eines Kindergeburtstags im Sommergarten. Im weiÃen Expeditregal von Ikea sind die Bücher nach Farben geordnet, und an der einzelnen golden gestrichenen Wand hängen die üblichen Streetart-Künstlercollagen von Bansky und Co., aufgelockert durch ein paar gerahmte Kinderzeichnungen mit vielen weiÃen Flächen, fein säuberlich ausgerichtet im goldenen Schnitt. Anouk lebt das Berlin-Mitte-Leben meiner Generation. Sie ist eine Stylostreberin. Ich selbst bin nicht unanfällig für solche SpäÃe, und doch überlege ich mir in diesem Moment krampfhaft, wo ich diese vielen Farben dezent wieder auskotzen kann.
»Sollen wir uns in die Küche setzen?«, rettet mich Max einfühlsam lächelnd aus meinem Farbrausch.
»Gerne. Gibtâs da vielleicht auch Kaffee?«
»Glaub mir, Wanda. In unserer Küche gibt es alles .«
Anouk hat in der Zwischenzeit Karottenkuchen mit kleinen, blassen Marzipanmöhrchen vom Biobäcker nebenan serviert. Wir befinden uns in einem dieser Stadtteile, in dem es schwer ist, einen Bäcker zu finden, der nicht bio ist. Dazu passend gibt es Biotee, der mir wenigstens dabei hilft, die trockenen Bissen in meinem Mund zu verflüssigen, um sie anschlieÃend hinunterzuwürgen.
Abgerundet wird das Ganze von einer ebenfalls biologischen und trockenen Unterhaltung. Alle reden leise, das Baby schläft noch immer. Die Kinder sind tatsächlich widerlich gut erzogen und mit Anouks Bronzehaut und Maxâ Schwedenhaar so niedlich, dass ich schon wieder kotzen möchte.
Anouk redet über die geänderten Ãffnungszeiten der Kita. Dann über eine neue Erzieherin in der Kita. Danach über die neue Wandfarbe der Kita. Sie versorgt mich lächelnd mit Tee und Honig und Kuchen und Servietten, aber sie vermeidet jegliche Konversation über mein Hiersein.
Das Gefühl, das mir Anouk auf sehr raffinierte Weise vermittelt, dieses Gefühl, Gast zu sein in einem fremden Alltag, tut auf erschreckende Weise weh. Denn es ist doch Max, der neben mir sitzt. Max, den ich schon kannte, als Anouk noch ein Babykalb auf einer Ringelblumenweide war. Max, mit dem ich mich stundenlang über moderne Architektur unterhalten konnte. Max, der mir SMS schreibt, in denen er mich fragt, ob in meinem Höschen gerade noch Platz für zwei Finger von ihm sei. Verstohlen schaue ich in seine Richtung. Aber Max muss Anouk antworten und nicken und ist auÃerdem beschäftigt mit Papa-Sein.
Die Zeit zieht sich in die Länge. Lasse und Bosse flüstern weiter vor sich hin, Max zerlegt für sie Marzipanmöhrchen in mikroskopisch kleine Einzelteile, Anouk redet über die Erbsen in der Kita, und ich will schon anfangen, laut zu werden, da hat das Baby endlich Erbarmen mit mir und wacht von alleine auf.
Es schnauft ein bisschen, wackelt mit seinem winzigen Köpfchen ungelenk hin und her und gluckst dann in Anouks Ausschnitt. Die packt das Kleine aus seinem Tragetuch und legt es sich in die Armbeuge, wo es noch etwas schlaftrunken vor sich hinblinzelt und wahrscheinlich überlegt, wann es anfangen soll zu schreien.
Die Sache ist die: Als Nichteltern junge Familien zu besuchen ist schwer. Alle reden die ganze Zeit über das Kind. Auch wenn es schläft, sitzen alle um das Baby herum und glotzen es an, als würden sie gebannt in ein Lagerfeuer schauen. Keiner schafft es, sich zu unterhalten.
Wenn es gerade mal nicht schläft, und man versucht, Kontakt aufzubauen, indem man ihm beispielsweise die nächstbeste Rassel vor die Nase hält, sprechen die Eltern in nerviger Babystimme zu einem: »Das mag unser kleiner Purzel aber üüüberhaupt nicht, das ist die böööse Rassel, nicht wahr?« Dann nehmen sie einem die Rassel weg und greifen zum richtigen Kuscheltier, jenem, das durch irgendeinen Familieninsider zum »schööönen Kuscheltier« geworden ist.
Ich versuche es trotzdem: »Na, dann gib mal her, das Kleine«, sage ich und strecke vertrauensheischend beide Arme nach dem Bündel aus. Eine Millisekunde später gefriert die Welt.
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