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Kuckucksmädchen

Kuckucksmädchen

Titel: Kuckucksmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Lohmann
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könnte seinen Partyfreund im Club sitzen lassen und mich durch diese laute, bunte Nacht zu sich nach Hause bringen.
    Â»Hast du meine Nachricht gehört? Es tut mir leid.«
    Jonatahan nickt beiläufig. »War’s das?«
    Â»Nein.«
    Â»Was denn noch?«
    Â»Die Wohnung. In Othmarschen. Ich habe angefangen, sie einzurichten. Für uns beide.«
    Irgendwas in Jonathans Gesicht verändert sich für ein paar Sekunden, dann hat er sich wieder unter Kontrolle.
    Â»Ach, Wanda«, antwortet er. »Und jetzt ist alles wieder gut, glaubst du?«
    Â»Nein, ich …«
    Â»Du erwartest, dass ich dankbar bin? Dass ich jetzt sofort meine Sachen packe und mit dir zusammenziehe, so als ob nichts gewesen wäre?«
    Ich zucke hilflos mit den Schultern. Er zuckt ebenfalls mit den Schultern. Und dann wählt er die einzige Möglichkeit, mit der ich nicht gerechnet hätte: Er dreht sich weg, macht einen Schritt in den Club hinein und lässt die Tür hinter sich zufallen.
    Vielleicht ist das Herz schneller als der Verstand. Vielleicht kann ich auch ein paar Sekundenbruchteile schneller fühlen, als ich begreifen kann, ich weiß es nicht genau. Was ich weiß, ist, dass das Herz aussetzt, bevor ich wirklich verstanden habe, was gerade passiert ist. Es verharrt eine kleine Ewigkeit wie gelähmt in meiner Brust, während um mich herum die Welt stehen bleibt. Die Traurigkeit trifft mich heftig und völlig unvorbereitet. Da ist es. Das ganz große Gefühl. Das, auf das ich die ganze Zeit gewartet habe. Das, was bei allen anderen Männern immer nur zu ahnen war. Jetzt ist es da. So fühlt sich das also an.
    Neues Partyvolk kommt die Treppe herunter. Jungs mit albernen Brillen und karierten Hemden, Mädchen mit Röhrenjeans und langen, offenen Haaren. Sie schreien und lachen und gehen an mir vorbei zu der Tür, hinter der Jonathan verschwunden ist. Sie sehen mich nicht. Und sie sehen auch nicht mein Herz, das jetzt einen Satz macht, durch sämtliche Organe hinabstürzt und sich dann, völlig geräuschlos, aus meinem Körper fallen lässt.
    Ich brauche eine kleine Weile, bis ich meine Augen endlich von der verdammten Tür wenden kann. Dann erst fällt mein Blick auf das Herz, das blutend zwei Treppenstufen unter mir liegt. Ich trete einen Schritt näher und betrachte es mit Unbehagen. Ganz still liegt es da, es weint nicht, es schreit nicht, es macht keinen Laut, und es bewegt sich nicht.
    Ich sehe mich um. Noch hat keiner den Unfall bemerkt. Einen kurzen Augenblick spiele ich mit dem Gedanken, mich einfach umzudrehen, davonzugehen und mein Herz mit all seinem Schmerz dort liegen zu lassen. So zu tun, als hätte ich nie den Sound seiner Stimme gehört. So zu tun, als ginge mich das alles nichts an. Ein einsames, verletztes Herz auf einer Hafentreppe, es ist vermutlich noch nicht mal das erste.
    Aber dann sehe ich, dass es noch immer ganz leicht pulsiert. Ich setze mich auf die Treppenstufe und strecke meine Finger nach ihm aus. Als ich es vorsichtig aufhebe, liegt es ruhig pochend in meiner Hand. So gut es geht, säubere ich es von Blut und Straßendreck. Ich stehe auf und bahne mir meinen Weg durch die feiernden Menschen, zurück in Richtung Hafen.
    â€“ Komm, mein Herz, wir gehen. Ich pass auf, dass dich keiner schubst.
    Ich höre nicht auf. Ich mache einfach weiter und versuche, möglichst wenig zu denken. Ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich will ein eigenes Nest. Und dieses Nest baue ich jetzt. Und ich glaube daran, und ich wünsche ganz fest, dass auch Jonathan daran glaubt.
    Nach den letzten Wochen hat er das Recht auf ein wenig Chaos. Und geradezu die Pflicht, ein bisschen beleidigt zu sein. Aber es könnte gut sein, dass er danach zurückkommt. Und deswegen höre ich nicht auf. Deswegen setze ich mein Herz wieder in die Brust und schubse es so lange hin und her, bis es ungefähr dort sitzt, wo so ein Herz üblicherweise hingehört.
    Am nächsten Tag baue ich mein Bett auseinander, packe Metallgestell, Lattenrost, Matratze und Bettwäsche in den Transporter und fahre nach Othmarschen. Auf dem Weg hole ich aus dem Baumarkt noch zwei massive Haken.
    Die Zimmer der neuen Wohnung sind leer und kalt. Meine Schritte hallen auf den schmutzigen Dielen. Nur das Schlafzimmer liegt in der Wohnung wie eine flauschige, warme Einladung. Mit ein paar Handgriffen baue ich das weiße Bett wieder zusammen, lege Lattenrost

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