Kuckucksmädchen
offenen Kühlschrank, in dem sich nicht mehr befindet als noch mehr Champagner und eine Dose Oliven, die eigentlich nicht gekühlt werden müsste.
Wahrscheinlich zuckt sie mit den Schultern und sagt sich, dass sie dann eben schick frühstücken gehen, genug Geld hat er ja offensichtlich. Aber als sie zurück ins hochglanzweiÃe Schlafzimmer kommt, ist er schon nicht mehr da, er steht unter der Dusche und hat die Badezimmertür abgeschlossen. Auf dem Bett liegt vielleicht ein Zettel, auf dem irgendeine nett gemeinte Unverschämtheit steht.
Sie zieht sich an, nimmt ihre Handtasche, schlieÃt leise die Wohnungstür hinter sich. Und dank der Antifingerprint-Formel hinterlässt die Unternehmensberatungspraktikantin noch nicht mal die winzigste Spur in seiner Wohnung.
Jonathan geht nicht ans Telefon. Ich rufe ihn innerhalb von zwei Tagen fünfmal an, aber er hebt nicht ab. Beim sechsten Mal versuche ich es mit der Mailbox und den Sätzen, die das Herz mir diktiert hatte. Ich verwende genau die Worte, die es mir vorgesprochen hat, und rede von Heirat, Kindern, Liebe, Krankheit und Tod.
Aber es passiert nichts.
Die Woche über lasse ich die Schnöselwohnung leer räumen und verdiene sehr viel Geld mit dem Antifingerprint-Kühlschrank. Mein Chef kommt mit neuen Aufträgen. DrauÃen vor der Tür geht der Sommer zu Ende. Das Leben läuft weiter oder versucht es zumindest. Auf einmal bin nicht mehr ich diejenige, die die Zeit anhalten will, jetzt ist es Jonathan, wegen dem es nicht weitergeht.
Und plötzlich ist die Angst weg. Die Angst, Entscheidungen zu treffen und Fehler zu machen. Die Angst davor, dass es nur einen Weg gibt, richtig oder falsch, nur eine wirklich gute Möglichkeit, dieses Leben auszufüllen. Nicht Jonathan war es, der falsch war. Es war die Angst.
Ich rufe in Köln an und nehme meinem Vater den Stein vom Herzen, den er seit unserem letzten Telefonat getragen haben muss. Dann fahre ich mit dem Firmentransporter in ein Teppichgeschäft, wo ich wunderbar flauschige, elfenbeinweiÃe Auslegeware kaufe. Zwanzig Quadratmeter, denke ich, werden fürs Schlafzimmer reichen. Ich werde die Dielen nicht abschleifen. Ich werde aus der Wohung meiner GroÃeltern keine typisch stylische Hamburger Altbauwohnung machen. Ich werde alles geben, um mein eigenes Ding zu machen. Unser eigenes Ding. Jonathan und ich. In unserer eigenen Wohnung. Mit champagnerfarbigem Teppich im Schlafzimmer.
Ich weiÃ, dass es riskant ist. Ich weiÃ, dass ich lange gezögert habe. Vielleicht zu lange. Aber jetzt mache ich etwas. Jetzt hocke ich auf allen vieren im Schlafzimmer und verlege den neuen Teppich. Keuchend und mit Schweià auf der Stirn. Endlich.
Gestern habe ich die Wände gestrichen. Es fühlt sich gut an, etwas zu tun. Und wenn sich in einer Woche oder einem Monat oder einem Jahr herausstellt, dass es das Falsche war, dann ist das auch okay. Wenigstens war dann überhaupt irgendwas. Denn alles ist besser als Leere und Warten und Angst.
Nachdem die Klebereste vom alten Teppich abgekratzt sind und der neue Teppich grob zugeschnitten ist, öffne ich den Eimer mit dem Klebstoff und verstreiche die weiÃliche Masse sorgfältig auf den Dielen. In meiner Phantasie sehe ich jede Menge hipper GroÃstadtmenschen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Aber ich mache unbeirrt weiter. Lege den Teppich über den HolzfuÃboden, schneide die Ecken und Kanten penibel exakt zu und bearbeite ihn zum Abschluss mit der Andruckwalze.
Dann halte ich doch kurz inne, wische den Schweià von der Stirn und streiche mir fest durch die Haare. Hebe den Teppich an einer Stelle nahe der Tür noch einmal hoch, bevor er in ein paar Minuten fest mit dem FuÃboden verklebt sein wird. Auf die dünne, weiÃe Klebeschicht lasse ich ein langes, einzelnes Haar von mir fallen. Dann drücke ich den Teppich mit beiden Händen fest auf die Dielen.
Bevor ich in meine alte Wohnung gehe, entferne ich noch das Namensschild an der Klingel. Ich erinnere mich daran, dass meine GroÃmutter an der Art des Klingelns erkennen konnte, welcher ihrer Söhne vor der Tür stand. Und wie es ihm gerade ging. Nicht, weil mein Vater oder sein Bruder Klingelsignale gegeben hätten, wie Jonathan und ich es tun. Für mich hörte sich das Klingeln in der Wohnung meiner GroÃeltern auch immer gleich an. Ein dumpfes, lang gezogenes Dingdingdong. Aber meine GroÃmutter,
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