Kuckucksmädchen
Mutter.
»Wie heiÃt du eigentlich?«
»Wanda.«
»Komisch.« Mila bedient die Kaffeemaschine. »Clemens hat noch nie von dir erzählt. Und normalerweise teilen wir alles.«
Das Herz pumpt eine Welle der Empörung durch meinen Körper. Dass Mila meinen Namen noch nie gehört hat, kann nur zwei Gründe haben: Entweder ich war nicht wichtig genug, um auf Clemensâ Liste erwähnenswerter Exfreundinnen zu kommen, oder sie glaubt nur, dass er ihr alles erzählt.
»Wanda«, wiederholt sie noch einmal und schüttelt den Kopf, wie um zu bestätigen, dass ihr mein Name einfach überhaupt nichts sagt.
»Und was ist der Grund für deine Tränen, Wanda? Ich hoffe, es hat nichts mit Clemens zu tun â¦Â«
»Nein, hat es nicht«, sage ich und dann: »Obwohl, irgendwie schon.« Mila stellt uns zwei Kaffeetassen auf den Tisch und setzt sich mir gegenüber auf den anderen Klappstuhl. »Na, was denn jetzt?«
Ich weià nicht, was es ist, das mir Mila so vertraut macht. Vielleicht liegt es an ihrer forschen, etwas spöttischen Art. Oder an der unfertigen, provisorischen Einrichtung, die uns umgibt. Vielleicht liegt es auch daran, dass es mir einfach nicht mehr reicht, immer nur mit meinem Herzen zu sprechen. Denn plötzlich erzähle ich Mila alles. Ich erzähle ihr von Jonathan und dem Thaihuhn, von seinem Antrag, der eigentlich keiner sein sollte und der mir trotzdem solche Angst eingejagt hat. Ich erzähle von meinen Brüsten und von der Liste, die ich geschrieben habe und auf der auch Clemens stand. Ich erzähle von Phillip und Larissa und den Perlenohrringen, von Max und Lasse und Bosse und dem Swingerclub. Von Ilya und seiner Mutter und dem beleidigten Haus. Und sogar von der Wohnung meiner GroÃeltern und der Reibekuchenpfanne und dem nicht vorhandenen Bernsteinhaar meiner GroÃmutter unter dem moosgrünen Teppich. Nur vom sprechenden Herzen erzähle ich nichts, sonst hält sie mich noch für verrückt.
»Wow«, sagt Mila nur, als ich nach etwa einer halben Stunde fertig bin. Sie steht auf, geht zu einem der Umzugskistenküchenregalkartons und fängt an, darin herumzuwühlen. Sie wühlt ziemlich lange.
»Tut mir leid, wenn das ein bisschen zu persönlich war«, sage ich zu ihrem Rücken.
»Kein Problem«, antwortet sie in die Kiste hinein, ohne sich umzudrehen. »Ich geh zweimal in der Woche zur Gruppentherapie. Dagegen sind deine Probleme ein Klacks.«
Ich bin mir nicht sicher, ob ich erleichtert oder beleidigt sein soll. Sie zieht ihren Kopf aus der Kiste, dreht sich zu mir um und hält eine Tüte Gummibärchen in die Luft. »Kekse haben wir leider nicht mehr.« Sie legt die Weingummis ungeöffnet zwischen uns auf den Tisch. »Dein Problem ist, dass du dich nicht entscheiden kannst, stimmtâs?«
Ich nicke, müde vom vielen Reden.
»Das Geheimnis ist«, sagt Mila und schiebt mir die Gummibärchen entgegen, »dass es am Ende egal ist.« Sie nickt mir aufmunternd zu, die Tüte zu öffnen. »Nach einem Jahr fangen sie alle an, im Bett zu furzen. Sie lassen ihre stinkenden Socken herumliegen. Ihre Witze fangen an, sich zu wiederholen. Beim Essen gucken sie lieber fern als in dein Gesicht. Sie regen sich über deine Mutter auf und führen endlose Monologe, in denen sie sich selber loben. Und nach fünf Jahren wirst du nicht mehr auf dem Küchentisch gevögelt, und du willst es auch gar nicht mehr. Gewöhn dich daran, dass ihr euch aneinander gewöhnt.«
Ich starre auf die Gummibärchen vor mir. »Wie lange seid ihr schon zusammen?«
»Sechs Jahre. Und glaub mir, ich hätte auch genug Gründe, um mich zu trennen. Aber komischerweise sind das immer die gleichen. Die Gründe ändern sich nicht beim nächsten Mann, die kommen immer wieder. Und deswegen bin ich irgendwann einfach stehen geblieben.«
Sie schaut mich an und lacht und tut, als ginge es um das Einfachste der Welt. Dann greift sie über den Tisch und reiÃt die Gummibärchentüte auf. Sorgfältig holt sie ein Gummibärchen nach dem anderen heraus und sortiert sie in akkuraten Reihen auf dem Holztisch, ohne ein einziges davon zu essen. Plötzlich erinnern mich diese roten, grünen und gelben Bärchen auf dem Tisch an die dicken, bunten, unschuldigen Babuschkas auf der Tischdecke vor Max im Café.
»Manchmal beneide ich die Frauen von
Weitere Kostenlose Bücher