Küchenfee
deine Familie zu beneiden, Lilli. Aber tauschen möchte ich trotzdem nicht mit dir. Meine Unabhängigkeit ist mir wichtiger.«
Wenn Lilli allein war, stürmten Bilder auf sie ein, die sie vor Schmerz und Wut laut schreien ließen. Sie sah Armin und Vanessa zusammen im Bett, wie sie sich über ihre Ahnungslosigkeit lustig machten. Sie sah Armin im Camelot , wie er mit Vanessa flirtete, vor den Augen ihrer Kollegen.
Sie sah Armin, der – offenbar ohne den Hauch eines schlechten Gewissens – seine Rolle als liebender Ehemann und Familienvater spielte.
Und jedes Mal führte das dazu, dass Lilli sich unendlich schämte. Für ihre Naivität, für ihre Gutgläubigkeit und für ihre Unfähigkeit, ihren Ehemann so glücklich zu machen, dass er sich keine Geliebte suchen musste.
Jeden Tag kamen entweder Gina oder Käthe – manchmal auch beide – zu Besuch. Sie redeten mit ihr und umsorgten sie. Sie ließen sie weinen und hielten sie tröstend im Arm. Käthe kochte häufig für Lilli und die Mädchen, denn Lilli hatte jegliche Lust daran verloren.
Und sie hatte nicht einmal die Kraft, gegen Käthes schwere Hausmannskost zu protestieren, selbst Gemüse mit dicker Sahnesauce oder fettige Bratkartoffeln hatten sie nicht aufbegehren lassen.
Etliche Wochen nach Armins Auszug kam Kati von der Schule nach Hause und fand Lilli weinend im Badezimmer, auf dem Boden kauernd, ein Oberhemd von Armin an sich gepresst. Kati nahm es ihr sanft aus der Hand. Es war das mit dem zerrissenen Ärmel. Sie setzte sich zu ihrer Mutter auf den Fußboden. »Ma, bitte, so geht das nicht weiter.«
»Was soll ich denn machen?«, weinte Lilli.
Kati drückte ihre Mutter fest an sich. »Mama, ich kann das nicht mehr ertragen, dass du so unglücklich bist. Ich möchte dich wieder lachen sehen«, flüsterte sie.
»Kati, es tut mir leid, wirklich. Aber es geht mir nicht gut.«
»Ma, ich sehe doch, dass du dich schrecklich fühlst, aber … Bitte, Mama, wir müssen eine Lösung finden.«
Sanft strich sie ihrer Mutter die Haare aus dem Gesicht.
»Pass auf, ich habe einen Vorschlag. Ich koche heute Abend was Schönes. Wir laden Tante Gina und Oma ein und sprechen über alles, ja? Und dann fällt uns bestimmt etwas ein.«
Bitte nicht, dachte Lilli verzweifelt. Bitte keine mitleidigen Gesichter mehr, kein an der Haustür zu laut geflüstertes »Wie geht es ihr heute, Kati« und »Hat sie heute Nacht geschlafen?«, keine Ratschläge, keine Hühnersuppe von Käthe mehr, »damit du wieder zu Kräften kommst, Kind.«
»Kati, das ertrage ich nicht, nicht heute.«
»Wann denn? Morgen? Übermorgen? Nächste Woche? Nächstes Jahr? Du wirst immer einen Grund finden, abzusagen, oder? Sei ehrlich. Mama, bitte. Wir brauchen dich. Svenja ist völlig durch den Wind, und mir geht es auch nicht viel besser. Und so sehr wir Oma mögen – du fehlst uns. Lass es uns wenigstens versuchen.«
Lilli wusste, dass Kati recht hatte. Sie war ihre Mutter, und es wurde Zeit, wieder am Leben der Töchter teilzunehmen, so schwer es ihr auch fiel. Svenja schlich seit Wochen wie ein Schatten durch das Haus, zutiefst verunsichert. Und Kati sollte sich ganz auf die Schule konzentrieren können, statt ihre depressive Mutter aufzufangen.
Lilli gab nach und nickte. »Also gut.«
»Ma, ich freu mich, wirklich. Wollen wir zusammen kochen? Hast du Lust?«
Lilli versuchte ein Lächeln. »Okay … Aber lass mir noch ein paar Minuten. Geh schon mal vor, ja, Kati?«
»Alles klar.« Kati sprang auf. »Aber wenn du in fünf Minuten nicht in der Küche bist, komme ich dich holen.«
Ihre Tochter verließ das Badezimmer. Sekunden später hörte Lilli sie telefonieren.
Sie ertappte sich bei der Hoffnung, Käthe und Gina hätten keine Zeit – und schämte sich sofort für ihre Gedanken. Trotzdem waren ihr die Besuche lästig. Es war anstrengend, Menschen um sich zu haben, sprechen zu müssen. Beide versuchten alles, sie aufzumuntern und zu unterstützen, aber Lilli wartete vom Moment ihrer Ankunft nur darauf, dass sie sich endlich wieder verabschiedeten.
Ein gemeinsames Essen schien mehr, als sie ertragen konnte.
Sie rappelte sich mühsam auf und ging langsam Richtung Küche, wo Kati schon geschäftig hin und her lief. Lilli blieb unschlüssig in der Tür stehen.
Aber Kati hatte sie schon bemerkt. »Da bist du ja, klasse! Komm, du kannst dich um den Salat kümmern. Wir haben Hähnchenfilet. Ich könnte Ragout machen oder die Filets nature anbraten, was meinst du?
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