Kuehler Grund
gesagt, dass bei ihm alles zusammenpasst!«
»Es passt ja auch. Zumindest stimmt es mit den Fakten überein. Aber er kann Laura Vernon trotzdem nicht getötet haben.«
»Warum nicht?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß auch nicht. Er kann es einfach nicht gewesen sein.«
»Du spinnst. Du hast wirklich nicht alle Tassen im Schrank.«
Eine Zeit lang lauschten sie nur noch auf die Geräusche aus dem Wald. Ein kleiner Schwarm Dohlen umkreiste den benachharten Felsen. Bis die Vögel endlich einen Platz für die Nacht gefunden hatten, übertönten ihre harschen, blechernen Schreie alle anderen Geräusche, die aus dem Tal heraufdrangen.
Die Minuten vergingen, ohne dass etwas passierte. Die drei alten Männer standen immer noch vor dem Haus um den weißen Pick-up-Truck herum. Noch eine halbe Stunde, und es würde völlig dunkel sein. Fry gab den Feldstecher an Cooper weiter. Dann wälzte sie sich auf die Seite und steckte die Hand in die Jackentasche. Sie zog eine Tüte bunte Bonbons heraus.
»Ich habe mal irgendwo gelesen, dass man in den Bergen immer was zu essen dabei haben soll. Wegen der Energie.«
Cooper nahm ein Bonbon und steckte es in den Mund. Er sah sie nachdenklich an. Sie wandte sich ab und tat so, als ob ihr im Wald etwas aufgefallen wäre. Jenseits des Tals zog ein Düsenjet, der auf dem Weg nach Manchester war, einen dünnen Streifen über den Himmel.
»Diane«, sagte er zögernd.
»Ja?«
»Was ist mit deiner Familie?«
Fry starrte weiter in die Ferne. Eine Sehne zuckte in ihrem Hals, als sie die Zähne zusammenbiss. Doch das war auch schon das einzige Anzeichen, dass sie ihn gehört hatte.
Er betrachtete ihr Profil und versuchte, ihre Gedanken zu lesen, ihre Gefühle zu erahnen. Aber ihre Miene war versteinert und ausdruckslos, die Augen starr auf etwas geheftet, was tief im Wald oder noch weiter dahinter liegen mochte.
Eine Amsel, die unter den Bäumen im toten Laub scharrte, pfiff und schnatterte vor sich hin. Weiter unten im Tal rief ein Rebhuhn. Sie hörten den Motor eines Autos, das aus Moorhay kam und in Richtung Edendale den Berg hinauffuhr.
»Du brauchst es mir nicht zu erzählen, wenn du nicht willst«, sagte er leise.
Da wandte sie ihm das Gesicht zu. Die Lippen hatte sie immer noch zu einem dünnen Strich zusammengepresst, aber ihr Blick war nicht mehr abwesend.
»Manchmal bist du wirklich nicht zu fassen, Ben.«
»Bin ich so unglaublich?«
»Ist das vielleicht der ideale Augenblick, um mit mir über mein Privatleben zu sprechen?«
»Ich dachte, du hättest vielleicht Lust, dich ein bisschen zu unterhalten, während wir warten.«
»Weißt du, worauf ich Lust hätte? Dir eins auf die Nase zu geben.«
»Oh, tu das nicht. Meine Schreie würden unsere Position verraten.«
»Okay.«
Wieder verstrichen die Minuten. Die Amsel keckerte im Laub auf dem Waldboden. Ein Eichhörnchen, das von einem Baum zum anderen sprang, raschelte in den Zweigen. Ein großer, heller Nachtfalter flatterte Fry vor der Nase herum, bis sie ihn wegscheuchte. Auf den Hängen des Baulk schrie ein Waldkauz. Schließlich stieß Fry einen tiefen Seufzer aus.
»Ich kam mit neun Jahren in eine Pflegefamilie. Angeblich hatten meine Eltern meine elfjährige Schwester missbraucht. Angeblich waren sie beide daran beteiligt. Also kamen wir in Pflegefamilien, aber andauernd zu anderen Leuten. Es waren so viele, dass ich mich gar nicht mehr an alle erinnern kann. Es hat Jahre gedauert, bis ich gemerkt habe, dass wir wegen meiner Schwester nirgendwo lange geblieben sind. Sie hat überall nur Ärger gemacht. Keiner konnte mit ihr fertig werden. Aber ich habe sie vergöttert und wollte mich nicht von ihr trennen lassen.«
»Und du?«
»Ich? Meinst du, ob ich auch missbraucht wurde? Ich weiß es nicht.«
»War es …«
»Ich weiß es nicht.«
Die Amsel flog durchs Unterholz davon und stieß einen Warnruf aus. Das Eichhörnchen verharrte auf einem Ast, den Körper aufrecht, den Kopf wachsam auf die Seite gelegt. Automatisch zogen Cooper und Fry die Köpfe ein und schmiegten sich dichter an den Boden. Allmählich kehrten die normalen Berggeräusche zurück. Das Eichhörnchen beruhigte sich und kletterte weiter.
»Und was ist aus deinen Eltern geworden?«
»Ich habe wirklich nicht die leiseste Ahnung. Und ich will es auch gar nicht wissen. Okay?«
»Und deine Schwester?«
Fry zögerte. Als sie antwortete, hatte ihre Stimme alle Schärfe verloren. Sie richtete den Blick wieder nach innen, auf die Bilder in der
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