Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
Vom Netzwerk:
Dunkelheit, die nur sie allein sehen konnte. »Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie sechzehn war. Sie ist von unseren Pflegeeltern abgehauen und nie wieder zurückgekommen.«
    Sie brach ab, und Cooper dachte, sie hätte alles gesagt, was sie sagen wollte. Doch dann kam noch ein Flüstern von ihr, voll von Wut und unbewältigtem Schmerz.
    »Natürlich hing sie zu der Zeit bereits an der Nadel.«
     
    Ein Schwarm Gänse zog in einer unregelmäßigen V-Formation über sie hinweg. Mit heiseren Schreien hielten sie die Verbindung, zu einer lebenden Einheit verschmolzen, die sich wie ein einziges Lebewesen fortbewegte. Weiter unten im Tal arbeitete noch ein Mähdrescher. Seine Scheinwerfer leuchteten, und das Klappern der Klingen auf dem Gerstenfeld drang klar und scharf zu ihnen herüber. Über dem Mähdrescher stand eine Staubwolke, goldene Staubkörnchen glitzerten im schwächer werdenden Licht.
    Fry wünschte sich, ihre Erinnerungen würden mit den Gänsen davonfliegen, von den Klingen des Mähdreschers zerstückelt werden, in einer Staubwolke aufgehen. Aber in dem dunklen Tal ihrer Seele kamen die Albträume nie zur Ruhe; es gab keine Ernte.
    »Diane …«
    »Was ist jetzt schon wieder?«
    »Hast du mich letzte Nacht mit nach Hause genommen?«
    »Wer sonst?«
    »Also … danke.«
    »Keine Ursache. Aber rechne nicht damit, dass ich dir diesen Gefallen öfter tue. Ich habe mich schon besser amüsiert.«
    »Schon klar.«
    Er lutschte das Bonbon zu Ende und rieb mit dem Ärmel die Linsen des Fernglases sauber.
    »Da wäre noch etwas, Diane. Ich kann mich kaum noch daran erinnern, was gestern Abend passiert ist. Aber eine Sache ist irgendwie hängen geblieben. Und danach wollte ich dich fragen. Es spukt mir die ganze Zeit im Kopf herum.«
    Fry erstarrte, ihre Arm- und Beinmuskeln waren krampfhaft angespannt, ihr Magen zog sich zusammen, und sie drehte das Gesicht weg, damit er nicht sah, dass sie rot wurde. Wie hatte sie sich nur einbilden können, dass er diese Blamage vergessen würde? Sie hatte keine Ahnung, was sie ihm sagen sollte. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.
    »Diane …?«
    Es gelang ihr nur mit Mühe, sich so etwas wie ein fragendes Knurren abzuringen, doch das genügte ihm schon, um fortzufahren.
    »Ich erinnere mich noch, dass ich im Wagen Musik gehört habe, als du mich zu deiner Wohnung gefahren hast. In meinem Suff muss sie sich mir irgendwie eingeprägt haben, jetzt geht sie mir nicht mehr aus dem Sinn. Ich wollte nur wissen, was es war.«
    Fry lachte vor Erleichterung laut auf. »Das gibt’s doch nicht!«
    »Es war eine Sängerin. Ich stehe eigentlich mehr auf die Waterboys und die Levellers. Aber das Stück klang nicht schlecht.«
    »Das war Tanita Tikaram. Die Platte heißt ›Ancient Heart‹.«
    »Danke.«
    »Wenn du willst, leihe ich dir die Kassette. Dann kannst du dir eine Kopie machen.«
    »Das wäre toll …«
    In Frys Jackentasche piepste es. »Scheiße.«
    »Wozu hast du denn das Ding mitgebracht?«
    Fry holte den Piepser heraus, schaltete den Ton aus und las die Telefonnummer ab. »Das war jemand, hinter dem ich den ganzen Tag hertelefoniert habe«, sagte sie. »Jetzt hat er gerade versucht, mich zurückzurufen.«
    »Etwas Wichtiges?«
    »Der Vogelbeobachter – Gary Edwards.«
    »Ach. Du hast daran gedacht.«
    »Glaubst du immer noch, dass es wichtig ist? Soll ich zum Auto gehen und ihn zurückrufen?«
    Cooper überlegte einen Augenblick. »Ja, ich glaube, das wäre besser.«
    Sie stand auf und ging los in Richtung Parkplatz, der ein paar hundert Meter unter ihnen an der Alten Mühle lag. »Dann bis gleich.«
    »Okay.«
     
    Verdammt, dachte Cooper. Ausgerechnet jetzt musste sie gehen, als er sie gerade nach Hitchens fragen wollte.
    Er hielt sich den Feldstecher vor die Augen. Die drei Gestalten neben dem weißen Pick-up waren kaum noch zu erkennen. Sie schienen sich über ein Blatt Papier zu beugen und zu beraten. Sie nickten mit den Köpfen, als ob sie zusammen an der Lösung eines Kreuzworträtsels bastelten.
    Diane Fry war erst wenige Minuten fort, als er sah, dass sich zwei der dunklen Gestalten vom Haus entfernten. Sie nahmen den Feldweg, der von der Farm wegführte. Der dritte Mann blieb, an den Pick-up gelehnt, allein zurück.
    Cooper verfolgte die beiden Gestalten, während sie durch das erste Gatter und weiter bis zur Straße gingen. Als sie abbogen und auf die andere Straßenseite wechselten, um zu dem schmalen Durchgang in der Mauer zu gelangen, hinter dem der Weg

Weitere Kostenlose Bücher