Kuehles Grab
du bist scharfsinnig wie immer«, erwiderte er. »Wie geht's Nathan heute Morgen?«
Ein Schatten flackerte über ihre Augen. »Er hatte eine schlimme Nacht. Er geht heute nicht in die Schule.«
»Alpträume?«
»Das kommt immer wieder vor. Er ist in Behandlung. Und er hat seinen Hund. Wer hätte geahnt, dass ich mich nach der Erfahrung mit Richards Trick einmal mit so etwas einverstanden erklären würde? Aber der Hund beruhigt Nathan oft besser, als ich es kann. Ich glaube, er macht Fortschritte.«
»Und du?«
Sie funkelte ihn an. »Ich bin zu alt, um einem Fremden meine Gefühle zu offenbaren.« Endlich ließ sie sich nieder. Er goss Kaffee in eine der dünnen Porzellantassen, und sie nahm sie wortlos entgegen.
In den nächsten Minuten tranken beide schweigend ihren Kaffee.
»Du bist hier wegen Annabelle«, sagte Catherine schließlich. »Weil ich ihren Vater gekannt habe.«
»Das war ein kleiner Schock«, gestand Bobby. »Kannst du mir mehr darüber erzählen?«
»Was gibt's da zu erzählen? Ich war in der Klinik. Er kam in mein Zimmer, stellte mir ein paar Fragen.«
»Hat er seinen Namen genannt?«
»Nein, er sagte nur, er sei ein Special Agent vom FBI.«
Bobby hob eine Augenbraue. Catherine stellte ihre Tasse ab – mittlerweile todernst.
»Ich erinnere mich nur an ihn, weil er mit mir streiten wollte. Ich war glücklich, dass endlich alle aus meinem Krankenzimmer verschwunden waren und mich niemand mehr mit Fragen löcherte. Wie fühlst du dich, Catherine? Was brauchst du? Können wir dir etwas bringen? Ich wollte nur noch, dass mich alle in Ruhe ließen. Und dann kam dieser Typ in dunklem Anzug mit Krawatte herein. Nicht groß, aber einigermaßen gut aussehend. Er zückte seinen Ausweis und verkündete: ›Special Agent, FBI.‹ Ich weiß noch, dass ich beeindruckt war. Sein Tonfall war entschieden, fast streng. Genau das, was man von einem FBI-Agenten erwartet.«
»Was hat er gemacht, Catherine?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Er stellte Fragen. Wie sah das Auto aus – Farbe, Marke, Modell, Nummernschild? Ich sollte den Mann, der am Steuer saß, beschreiben. Größe, Gewicht, Haar- und Augenfarbe, Alter, ethnische Zugehörigkeit. Was hat er gesagt, was hat er getan? Wohin er mich gebracht hat? Dann zeigte er mir eine Zeichnung.«
»Eine Zeichnung?«
»Ja, eine Bleistiftskizze. Schwarzweiß und so detailliert, wie sie ein Polizeizeichner anfertigen könnte. Ich schöpfte Hoffnung, denn bis dahin hatte niemand versucht, meinen Peiniger zu identifizieren. Aber das war keine Zeichnung von Richard.«
Bobby blinzelte. »Es war keine Zeichnung von Richard Umbrio?«
»Nein, das Bild zeigte einen schmächtigeren Mann mit feinerer Kinnlinie. Mr. Special Agent nahm es nicht so gut auf, als ich ihm das sagte.«
»Was meinst du damit?«
»Er fing an zu streiten. ›Vielleicht erinnerst du dich nicht richtig – es war dunkel, du warst in einem Erdloch.‹ Ehrlich, der Agent ging mir auf die Nerven. Aber dann kam eine Schwester herein, und er machte sich davon.«
»Mr. Special Agent ist gegangen – einfach so?«
»Er klappte sein Notizbuch zu und verschwand.«
»Hat die Schwester irgendwas gesagt?«
»Davon weiß ich nichts mehr.«
Bobbys Blick verdüsterte sich, während er versuchte, die einzelnen Stücke zu einem Ganzen zusammenzusetzen. »Hat Mr. Special Agent einen Namen, eine Adresse genannt, hat er dir eine Visitenkarte gegeben?«
»Nein.«
»Hast du irgendjemandem von seinem Besuch erzählt? Der Polizei, deinen Eltern?«
Catherine schüttelte den Kopf. »Alle Welt hat mir Fragen gestellt. Was machte da ein Typ mehr schon aus?«
»Und er kam ein zweites Mal zu dir?«
»Am Tag meiner Entlassung. Diesmal war eine Schwester bei mir im Zimmer, um mir den Blutdruck zu messen. Die Tür ging auf, und er kam herein. Er sah genauso aus wie beim ersten Besuch. Dunkler Anzug, weißes Hemd, dunkle Krawatte. Vielleicht war es sogar derselbe Anzug. Er hielt der Schwester seinen Ausweis hin und bat sie, uns für eine Minute allein zu lassen. Sie eilte hinaus. Er kam an mein Bett und holte sein Notizbuch aus der Tasche. Wieder ging er noch einmal all die Fragen durch. An dem Tag war seine Stimme sanfter, aber ich mochte ihn noch weniger. Alle fragten mich aus und erklärten mir gar nichts. Und er legte mir wieder die Zeichnung vor.«
»Dieselbe Zeichnung?«
»Ja. Nur jetzt veränderte er sie vor meinen Augen, zeichnete das Haar dichter, fügte Schatten auf den Wangen hinzu. ›Und wie ist es
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