Kuehles Grab
erhoben, nachdem er die Patientenrevolte im Boston State Mental angezettelt hatte. In seinen Patientenakten stehen Vermerke über den angeblichen Vorfall, und die örtliche Polizei hat ihn als verdächtige Person im Mordfall an einer jungen Frau eingestuft, aber genau genommen gibt es keine Einträge im Kriminalregister. Bridgewater war überfüllt, und jetzt rate mal, wem sie die Entlassung angeboten haben.«
»Großer Gott.«
»Laut Patientenkartei war er ein richtiger Unschuldsengel in Bridgewater, deshalb dachten die auch gar nicht daran, erst im Boston State Mental nachzufragen. Tatsächlich ist Bridgewater sogar ziemlich stolz auf Eola. Sie betrachten seine Karriere bei ihnen als echten Erfolg.«
Bobby lachte – er hatte die Wahl, auf irgendetwas einzuschlagen oder zu lachen. Schlecht geführte Akten, inkompetente Behörden. Und die Öffentlichkeit machte die Polizei für die steigende Verbrechensrate verantwortlich. »Na, gut«, sagte er. »Eola kehrte also 1978 ins Reich der Lebenden zurück. Und dann?«
»Dann verschwand er. Er ließ sich nie im Rehabilitationszentrum für entlassene Strafgefangene blicken, beantragte keine Sozialhilfe und hielt keinen Termin beim Bewährungshelfer ein. Er war von einem Tag auf den anderen einfach verschwunden.«
»Hat er sich verdrückt, oder wurde er vom schwarzen Loch der Obdachlosen verschluckt?«
»Keine Ahnung. Immerhin hatte man ihm einige Intelligenz bescheinigt, deshalb glaube ich, dass er sich mit einer falschen Identität in die Gesellschaft eingeschlichen hat. Vergiss nicht, als Kind und Jugendlicher hat er ein privilegiertes Leben geführt. Welches Kind reicher Eltern findet sich mit einem Leben auf der Straße ab? Außerdem kennt man sich in Obdachlosenkreisen. Die Leute begegnen sich in den Suppenküchen, schlafen gemeinsam in den Heimen, lungern an denselben Straßenecken herum. Früher oder später müsste ihn jemand wie Charlie Marvin erkennen, der sowohl bei den psychisch Kranken als auch mit den Obdachlosen arbeitet. Heutzutage verschwindet niemand spurlos, nicht einmal auf den Straßen Bostons.«
»Ich habe gehört, dass es an die sechstausend Obdachlose in der Stadt gibt. Und selbst ein großes Obdachlosenheim wie das an der Pine Street Inn kann nur ein paar hundert aufnehmen. Es gibt also noch jede Menge Menschen, deren Gesichter im Verborgenen bleiben.«
»Ja, aber wir sprechen hier von jemandem, der dreißig Jahre nicht aufgetaucht ist. So lange kann sich niemand unsichtbar machen. Bleibt noch die Möglichkeit, dass Eola nicht mehr am Leben ist.« D. D. schürzte die Lippen und dachte nach. »So viel Glück haben wir nie. Die echten Irren leben ewig. Ist dir das auch schon aufgefallen?«
»Es ist mir auch aufgefallen.« Bobby zog die Stirn in Falten. »Konnte Sinkus die Familie von Eola ausfindig machen?«
»Er hat ihnen gestern Nachmittag einen Besuch abgestattet – in ihrer Residenz in Back Bay«, fügte sie bedeutungsvoll hinzu. »Sie wollten ihn nicht ins Haus lassen und regten sich furchtbar auf, weil er mit ihnen über den verschollenen Christopher sprechen wollte.«
»Die wohlhabendsten Familien sind immer verkorkster als andere, findest du nicht?«
»Da siehst du, welche Vorteile wir mit unseren jämmerlichen Gehältern haben – wir werden nie so reich sein, dass unsere Familien derart kaputtgehen können.«
»Genau.«
»Wunder über Wunder, die Eolas haben sich bereits juristischen Beistand organisiert. Sie beantworten ohne offizielle Vorladung und ohne Anwesenheit ihres Anwalts keine Fragen nach ihrem Sohn. Sinkus kümmert sich gerade um den Papierkram. Ich möchte wetten, dass er die feinen Herrschaften und ihren Anwalt heute Nachmittag in unseren Büros empfängt. Er verpasst ihnen ein paar Tassen Kaffee, und sie dürften anfangen zu reden, wenn auch nur um ihre Geschmacksknospen zu schonen.« Sie schwieg einen Moment, dann fuhr sie fort: »Ich schätze, sie wissen auch nicht, wo sich Eola herumtreibt. Sinkus meinte, sie empfinden nichts als Abscheu für ihren Sohn. Ich würde gern mehr über den Vorfall erfahren, der ihn ins Boston State Mental gebracht hat. Es wäre gut, ein etwas vollständigeres Profil von Mr. Eola zu entwickeln und zu überprüfen, ob seine Vorgehensweise mit anderen Dingen, die wir schon wissen, übereinstimmt.«
D. D. nickte zur Bestätigung ihrer eigenen Worte und blätterte in ihren Unterlagen. Ihre Wangen waren gerötet. Nichts konnte Sergeant Warren mehr begeistern als zwei Personen, gegen die
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