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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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leid«, erwiderte ich leise und hilflos. Wir hatten uns mittlerweile von den Gästen des Ned Devine's entfernt und standen an einer Ecke des breiten Gebäudes mit den Granitsäulen. Mr. Petracelli war immer noch sehr zurückhaltend und hielt Abstand von meinem Hund.
    »Lana hat erzählt, dass du Dori ein Medaillon gegeben hast«, begann er unvermittelt. »Stimmt das? Hast du ihr eines … deiner Geschenke überlassen? Hat der Perverse, der die Geschenke auf deine Veranda gelegt hat, meine Tochter umgebracht?« Seine Stimme wurde mit jeder Silbe schriller, und ich entdeckte ein irres Funkeln in seinen Augen.
    »Mr. Petracelli …«
    »Ich hab den Detectives in Lawrence damals immer wieder gesagt, dass es da eine Verbindung geben muss. Ich meine, erst späht ein Spanner in die Fenster unserer Nachbarn, dann verschwindet unsere siebenjährige Tochter. Sie wollten jedoch nichts davon wissen. ›Zwei verschiedene Orte‹, sagten sie. Zwei unterschiedliche Vorgehensweisen. Im Grunde meinten sie damit, ich solle mich aus allem heraushalten. ›Lassen Sie uns unseren Job machen, Spinner!‹«
    Er steigerte sich in seine Wut.
    »Ich wollte deinen Vater erreichen, dachte, er könne mit der Polizei reden und sie überzeugen, aber ich hatte keine Telefonnummer. Fünf Jahre Freundschaft. Barbecues, Silvesterpartys, unsere Töchter, die zusammen aufwuchsen – und von einem Tag auf den anderen macht ihr euch ohne ein Wort des Abschieds auf und davon. Ich hasste deinen Vater, weil er sich aus dem Staub gemacht hat. Vielleicht ist das auch nur Neid. Ihm war es gelungen, sein kleines Mädchen zu retten, während ich meines verloren habe, weil ich geblieben bin.« Er machte sich nicht mehr die Mühe, seine Verbitterung zu verbergen.
    Ich wusste nach wie vor nicht, was ich sagen sollte. »Ich vermisse Dori«, brachte ich schließlich heraus.
    »Du vermisst sie?«, rief er, und da war wieder dieses unheimliche Funkeln in seinen Augen. »Ich habe fünfundzwanzig Jahre nichts von deiner Familie gehört. Ziemlich merkwürdige Art, jemanden zu vermissen, wenn du mich fragst.«
    Schweigend trat ich unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Ich spürte, dass er etwas Wichtiges zu sagen hatte. Bestimmt gab es einen triftigen Grund dafür, dass er sich an einem regnerischen Abend auf den Weg gemacht hatte, aber noch schien er sein Anliegen nicht in Worte fassen zu können
    »Ich möchte, dass du zur Polizei gehst«, erklärte er nach einer Weile und spähte unter der Hutkrempe hervor. »Wenn du ihnen deine Geschichte erzählst – insbesondere die von dem Medaillon –, dann ist ihr Interesse an dem Fall wieder geweckt. Für Mord gibt es keine Verjährungsfrist. Und wenn sie neue Spuren finden …« Seine Stimme versagte. Dann straffte er die Schultern. »Ich habe Herzbeschwerden, Annabelle. Einen vierfachen Bypass. Zum Teufel, ich bestehe mehr aus Plastik als aus Fleisch und Blut. Irgendwann erwischt es mich. Mein Vater ist gerade mal fünfundfünfzig geworden. Mein Bruder ist auch früh gestorben. Der Tod erschreckt mich nicht. An manchen Tagen erscheint er mir wie eine Erlösung, doch wenn ich sterbe … möchte ich neben meiner Tochter begraben werden. Ich möchte wissen, dass sie an meiner Seite liegt und dass sie endlich nach Hause gekommen ist. Sie war erst sieben. Mein kleines Mädchen. Gott, sie fehlt mir so sehr.«
    Plötzlich fing Mr. Petracelli an zu weinen. Die heftigen Schluchzer veranlassten wildfremde Leute stehenzubleiben. Ich legte den Arm um seine Schultern. Er klammerte sich so fest an mich, dass er mich beinahe zu Boden gerissen hätte. Ich stemmte mich gegen sein Gewicht und fühlte, wie ihn die Trauer in Wellen durchlief.
    Bella wimmerte, tänzelte um uns herum und stieß mein Bein mit der Vorderpfote an.
    Nach einer Weile richtete sich Mr. Petracelli auf, wischte sein Gesicht ab und rückte den Hut zurecht. Er vermied es, mich anzusehen.
    »Ich werde zur Polizei gehen«, versprach ich – eine einfache Zusage, da ich das bereits getan hatte. »Man weiß nie. Die forensische Wissenschaft macht ständig Fortschritte; vielleicht haben sie schon eine bedeutende Entdeckung gemacht.«
    »Nun, da ist diese Grube in Mattapan«, meinte er. »Sechs Leichen. Vielleicht haben wir diesmal Glück.« Sein Gesicht zuckte. »Glück! Hast du das gehört? Lieber Himmel, das ist kein Leben mehr!«
    Ich spähte verstohlen auf meine Uhr. Vor zwanzig Minuten hatte ich meinen Arbeitsplatz verlassen. Wahrscheinlich war ich schon so gut wie

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