Kühlfach betreten verboten
gefallen, aus dem sie sicher nicht vor Montag früh erwachen würde. Martin war meine einzige Chance.
»Ich kann Birgit doch nicht hier allein lassen«, jammerte er.
»Dann nimm sie mit.«
An genau dieser Stelle waren wir vor einer halben Stundeschon einmal gewesen. Allerdings hätte ich auch vorschlagen können, Martin solle Birgit für die Dauer seiner Ermittlungen kryonisieren oder mit dem Space Shuttle zum Mond schicken, er hätte nicht entsetzter sein können. Dabei ging es nur um einen Besuch im Chilling Chili, um der Tussi mit dem Handy im Schuh auf den Zahn zu fühlen.
»Birgit braucht Ruhe und viel Schlaf«, erklärte Martin mir zum wiederholten Mal. »Verrauchte Luft, laute Musik, Alkohol, das alles ist Gift für sie. Es geht also wirklich nicht.«
Ich war mir sicher, dass Birgit ein gepflegtes Clubbing dem frühverrenteten Sofaschimmeln vorgezogen hätte, aber ich konnte ja nicht selbst mit ihr reden. Also war ich der Kapitulation nahe, als Birgit plötzlich sagte:
»Wollen wir heute Abend ausgehen?«
Hurra, wollte ich schreien, aber ich hielt mich zurück.
Martin schaute seine Liebste mit halb seligem, halb besorgtem Lächeln an. »Wohin denn? Was schwebt dir vor? Soll ich mal schauen, ob es ein Sinfoniekonzert gibt? Oder ein schönes Theaterstück?«
»Och, nee«, sagte Birgit. »Wie wäre es mit Kino? Oder ein Konzert?«
In Martins Hirn blitzte die Erinnerung an das letzte gemeinsame Konzert, das er nur mit mehrfach verstärktem Ohrschutz überlebt hatte. Ohropax plus Kopfhörer. Darüber hatte er seine Softshell-Mütze mit der Windschutzmembran gezogen und in dieser Verkleidung die Beschallung abgewettert wie ein Seemann einen Hagelschauer. Zum Glück für ihn waren Mützen für Männer auch im Sommer nicht generell unmodern, daher fiel dieser Teil seiner Kleidung weniger auf als die Hose mit Bügelfalten und die Krawatte, die er noch von seinem Auftritt als Gutachter vor Gericht umgebunden hatte.
»Martin, das ist unsere Chance!«, drängelte ich.
Aber Martin blieb eisern. Das einzige Zugeständnis, das er machte, war ein Kinobesuch. Noch dazu ein Frauenfilmchen. Kein Lärm, keine Action, keine Aufregung. Nichts, was den Bonsaikeimling unter Birgits straffer Bauchdecke erschrecken könnte.
»Erschrecken?«, fragte ich. »Man kann dem Nachwuchswichtel gar nicht früh genug zeigen, was ein echter Held ist. Ihr solltet ab jetzt nur noch Männerfilme schauen. ›Rocky‹, ›Rambo‹ und so Zeug. Von mir aus auch ›Terminator‹ oder ›Transformers‹ oder mindestens ›Fast & Furious‹. Das bildet.«
Martin hingegen verbot auch noch Cola und Popcorn und Gummibärchen und steckte stattdessen ein Tütchen ungeschwefelter Aprikosen und ein paar Walnüsse ein, falls Birgit im Kino einem plötzlichen Fressflash zum Opfer fiele. Es zeigte sich, dass er mit dieser Erwartung ins Schwarze getroffen hatte, nur dass sie keine matschigen Aprikosen spachtelte, sondern das Popcorn aus dem Pappeimer ihres Nachbarn zur Linken. Da konnte Martin so viel quengeln, wie er wollte.
Nach dem Kino kotzte Birgit das Popcorn in den Rinnstein, ließ sich von Martin nach Hause fahren und schlief innerhalb von zwölf Sekunden nach Berühren des Kopfkissens wie ein Stein.
»Jetzt aber los«, forderte ich ihn auf. »Birgit pennt, sie wird dein Fehlen nicht bemerken, und langsam, aber sicher nähern wir uns der Öffnungszeit des Chilling Chili.«
»Ich bin auch müde und muss ins Bett«, jammerte Martin, aber ich ließ mich nicht abwimmeln. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Entnervt gab er auf.
»Sie ist ungefähr so groß wie du, schwarzhaarig, Stammgast in der Klappkaribik und sie hat Hupen so groß und prall und rund wie Wasserbomben.«
Martins Hirn produzierte das Bild einer blöden, ledrig braun getoasteten Blondine nur eben schwarzhaarig, und im Grunde traf es das Modell, das wir suchten, ziemlich gut. Ich ließ ihn also in Ruhe die Menge scannen und scannte mit. Es war nicht leicht, in dem Club überhaupt etwas zu erkennen, denn das Licht blitzte gewitterartig durch die Dunkelheit, sodass alle Bewegungen an ein Huhn mit abgeschlagenem Kopf erinnerten. »Ihr Begleiter ist ein fetter Sack mit ziemlich viel Gold am Hals und schwarzen Klamotten.«
»Sehr witzig«, murmelte Martin. Die Mehrzahl der Tiger in diesem Schuppen entsprach der Beschreibung.
Ich flog durch die dicke Luft und hatte tatsächlich das Gefühl, mich durch eine breiige Pampe zu quälen. Zigarettenrauch und Duftwässerchen und Qualm
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