Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten
immer wieder auf, schlummerte wieder weg und wachte wieder auf, wenn sein Kopf auf die
Tischplatte knallte. Gegen vier Uhr drückte sich eine dunkle Gestalt am Institut herum, verschwand dann aber in Richtung Melatenfriedhof.
Ich folgte dem Mann, beobachtete, wie er über die Mauer kletterte, und folgte ihm noch ein paar Minuten, aber ich sollte ja
nicht den Friedhof bewachen, sondern den Keller, also drehte ich dort eine weitere Runde, bevor ich noch mal bei Irina vorbeischaute.
Ich wünschte, ich könnte mich in ihre Träume schleichen.
SECHS
»Auf dem Friedhof hat ein Irrer ein frisches Grab aufgegraben, die Leiche rausgeholt und ihr die Haut abgezogen«, erzählte
Jochen am nächsten Morgen, als Martin ins Büro trat. Martin blieb hinter seinem Stuhl stehen und rührte sich gefühlte zehn
Minuten lang nicht.
»Ob das unser Dieb …«, murmelte er.
»Interessanterweise hat er diese Leiche aber nicht mitgenommen«, sagte Jochen. »Eine Besucherin fand sie lässig an den Sensenmann
gelehnt und erlitt einen Schwächeanfall, weil sie meinte, die Frau sei lebendig begraben worden und hätte sich nachts aus
ihrem Sarg befreit.«
(Für Ortsunkundige muss ich wohl erklären, dass der Sensenmann ein Grabmal und das offizielle Maskottchen des Melatenfriedhofs
ist.)
Martin nickte. Viele Leute hatten Angst, lebendig begraben zu werden. Das konnten naturgemäß gerade die Rechtsmediziner nicht
gut nachvollziehen, denn sie zerstückelten jede Leiche sehr gewissenhaft, bevor sie verbuddelt wurde. Wer also bei der Ankunft
auf dem Tisch der Rechtsmedizin noch nicht hinüber war, wäre höchstens eine Stunde später definitiv nur noch ein großes Äquivalent
zum küchenfertigen Grillhähnchen: schön ausgeblutet und mit einem Beutelchen Innereien.
»Die Leiche hatte vielleicht nicht so ein schönes Tatoo, dessen Sicherstellung einen erhöhten Arbeitsaufwand bedeutete«, warf
ich ein.
Martin zuckte zusammen. »Apropos Tatoo …«, sagte er.
»Ich habe eine Adresse für dich, bei der du mal nachfragen könntest«, berichtete ich ihm gnädig.
»Dann sag sie mir.«
»Erst die Gegenleistung«, verlangte ich. Manchmal muss man einfach auf seine Würde achten.
Martin setzte zu einer Erwiderung an, sagte dann aber doch nichts und schaltete den Computer ein. Er aktivierte das Sprachprogramm,
schaltete das Headset ein und beobachtete mit Argusaugen, was ich auf seinem Bildschirm trieb. Ich rief das E-Mail -Programm auf und las die Antwort der Verlagstante. Tatsächlich, die wollte meine Geschichte veröffentlichen. Beide Teile.
Ich ließ einen Jubelschrei los, der Martin fast die Denkschüssel gesprengt hätte. Mit dieser Begeisterung hatte er wohl nicht
gerechnet, denn er hatte die geistigen Jalousien nicht heruntergelassen. Jetzt hielt er sich die Birne.
»Noch so ein Ding und du verbringst den Rest deiner Ewigkeit allein«, zischte er.
»Ich bin ein Schriftsteller«, schrie ich. »Ich werde berühmt.«
»Darüber reden wir noch«, entgegnete Martin.
»Mein Buch wird in jeder Buchhandlung stehen, mit meinem Namen vorne drauf. Ich bin gespannt, was meine Mutter dazu sagen
wird. Und erst mein Vater. Er hat mich immer nur kleingemacht …«
»Das geht nicht«, erwiderte Martin genervt. »Erstens hat Herr Forch darauf bestanden, dass alle Namen in dem Buch geändert
werden, also auch deiner, und zweitens kannst du als Leiche schlecht ein Buch schreiben.«
»Kann ich wohl, und das wird die Welt nun endlich erfahren.«
»Wird sie nicht«, erwiderte Martin. »Wenn du dich nicht an meine Regeln hältst, schreibe ich der Verlagstante eine Absage,
und damit ist die Sache beendet.«
»Aber …« Ich war so unterirdisch entsetzt, dass ich kaum noch Luft bekam.
Martin steckte das Headset aus. »So, dann schreiben wir mal eine freundliche Antwort.« Er redete mit mir wie mit einem Pflegestufe- 3-Typ : »Wie geht es uns heute, wollen wir uns mal den Brei reinschaufeln, haben wir wieder ins Bett genässt …« Zum Kotzen.
Er klickte auf »Antworten« und fing an zu tippen. »Sehr geehrte Frau Blitzgescheit (das Namenändern ist mir inzwischen zur
zweiten Natur geworden), vielen Dank für Ihr Vertragsangebot. Ich komme gern darauf zurück, muss aber zunächst darauf hinweisen,
dass ich bei der Niederschrift der Geschichte dummerweise tatsächlich existierende Namen von tatsächlich lebenden Personen
verwendet habe. Diesen Fehler möchte ich auf jeden Fall korrigieren. Auch
Weitere Kostenlose Bücher