Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten
worden war. Ich hätte
ihm am liebsten den dicken Medizinball in seine Paukertröte geschoben.
»Wenn du die Eins übernehmen könntest, das wäre prima«, sagte der prähistorische Sauriervogel, der die Hutzelfrau inzwischen
verabschiedet hatte.
»Natürlich«, sagte Irina, lächelte ihn freundlich an, zog ihren Kittel über und ging in die linke der drei abgeteilten Kabinen.
Es dauerte kaum eine halbe Minute, bis ein älterer Mann bei ihr erschien, dem sie einen gebrochenen Finger schiente. Danach
ging es Schlag auf Schlag. Alte, Junge, Männer, Frauen, die meisten mit Kopftuch, auch zwei Kinder verarztete Irina mit engelsgleicher
Geduld. Mindestens die Hälfte sprach kein oder wenig Deutsch und hatte Dolmetscher dabei, die sich selbst kaum verständigen
konnten. Allen diesen armen Menschen half die wunderbare Irina.
Ich beobachtete ihre verständnisvollen Augen, ihre geschickten Finger, bewunderte ihr Wissen und guckte nur weg, wenn sie
den Leuten spitze Nadeln irgendwohin stieß.
Nach vier Stunden wurde ich langsam müde. Natürlich kann ich nicht wirklich müde werden, aber obwohl ich von Irina total fasziniert
war, konnte ich mich doch irgendwann nicht mehr über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es wirklich endsöde ist, den ganzen
Tag in einer Arztpraxis zuzubringen. Selbst wenn die Ärztin Irina heißt. Ich war also mal wieder hin und her gerissen und
betrachtete es als ein deutliches Zeichen, als gegen halb sechs ein Mann hereinkam, der über ein Geschwür klagte. Und zwar
an einer sehr unangenehmen Stelle. Er druckste herum, und ichdachte schon, er hätte einen Elefantenpickel am Sack, aber tatsächlich kam es noch schlimmer. Es sei mehr so hinten, murmelte
er und ergänzte, dass er schon seit Wochen nicht mehr richtig sitzen könne … Das wollte ich nun wirklich nicht mit ansehen. Ich düste zu Martin ins Büro.
Ich fand Martin im unterkühlten Büro des Sparschweins. Martin hatte bereits eine Gänsehaut, auf der man Parmesan hätte reiben
können, und seine Lippen waren verdächtig blau.
»Warum ist denn diese Leiche noch hier?«, fragte das Sparschwein.
Martin beugte sich über den Tisch und legte den Kopf in einem fast unmöglichen Winkel schief, um einen Blick auf den Computermonitor
zu erhaschen.
»Das ist der Selbstmörder vom Bahndamm, richtig?«, vergewisserte Martin sich. Seine Zähne klapperten.
»Genau. Der Obduktionsbericht ist doch inzwischen geschrieben, es gibt also keinen Grund, dass die Leiche noch hier ist.«
Martin zog seine eigenen Notizen zurate. »Die Person ist nicht identifiziert«, sagte er dann.
»Na und?«
Martin stutzte. »Wie: Na und? Solange eine Leiche nicht identifiziert ist, bleibt sie hier.«
»Wessen Aufgabe ist denn die Feststellung der Identität?«, fragte das Sparschwein in einem Tonfall, von dem ich mir nicht
sicher war, ob er herablassend, spöttisch oder genervt klang.
»Das ist die Aufgabe der Polizei«, erklärte Martin.
»Dann soll die Polizei sich auch um die Leiche kümmern«, entgegnete das Sparschwein. »Wir haben mit der Obduktion und dem
Obduktionsbericht unsere Schuldigkeit getan.«
»Aber solange ein Toter nicht beerdigt werden kann, bleibt er hier.«
»Gut, dann muss die Polizei eben die Miete zahlen. Sorgen Sie bitte dafür, dass die Rechnungen entsprechend ausgefertigt werden.«
Mit einer wedelnden Handbewegung entließ das Sparschwein Martin, der sichtlich zögerte. Endlich gewann sein Überlebenstrieb,
er packte seine Ordner und Notizen und verließ den Raum. Ich folgte ihm in die Teeküche, wo er sich einen Ingwertee kochte.
Ingwer wärmt. Solche Dinge lernt man ungewollt, wenn man längere Zeit mit Martin bekannt ist. Pfefferminze kühlt, Melisse
beruhigt und Mate regt an. Nun also Ingwertee. Bei siebenunddreißig Grad Außentemperatur.
»Sind Sie schon bei der Identifizierung des Selbstmörders vom Bahndamm weitergekommen?«, fragte Martin eine Viertelstunde
später Gregors Kollegin. Ich hatte sie bei meinem letzten Fall kennengelernt, als sie den Verdächtigen mit ihrem Aussehen
leicht aus der Fassung gebracht hatte. Sehr jung, hübsch, wohlgeformt – für meine Begriffe ein bisschen zu naiv, aber das
konnte mit der Zeit nur besser werden. Sie war ja noch neu.
»Nein«, antwortete sie und ihre Stimme klang auch durch den Hörer hindurch eindeutig genervt. »Ist ja auch nicht ganz einfach
ohne Foto.«
»Und er hatte keine Ausweispapiere bei sich?«
»Herr
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