Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
von halbwüchsigen Dieben ernährt.
Rebrow trat für ein anderes Prinzip ein.
»Wenn du ein Dieb bist«, sagte er einem Jugendlichen, »dann musst du beschaffen können, ich werde dich nicht ernähren, lieber gebe ich einem hungrigen
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etwas ab.« Und obwohl Rebrow auf der nächsten »
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«, wo die neue »Ketzerei« besprochen wurde, seinen Standpunkt begründen konnte und die Entscheidung des »Ehrengerichts« zu seinen Gunsten ausging – auf Sympathie stieß sein Verhalten, das von den Traditionen der Diebe abwich, nicht.
Der zweite war Genka Tscherkassow, Friseur in einer der Lagerabteilungen. Genka war ein wahrer Bücherliebhaber und bereit, alles zu lesen, was ihm in die Hände fiel, Tag und Nacht zu lesen. »Schon den ganzen Weg ist es so« (das heißt das ganze Leben), erklärte er. Genka war Einbrecher, ein Einschleichdieb, das heißt Spezialist für Wohnungsdiebstähle.
»Alle stehlen«, erzählte er lautstark und stolz, »irgendwelche ›Kluften‹ (das heißt Kleidung). Aber ich – Bücher. Alle Kameraden haben mich ausgelacht. Ich habe einmal eine Bibliothek ausgeraubt. Mit dem Lastwagen abgefahren, das ist wirklich wahr.«
Mehr als von Erfolg als Dieb träumte Genka von einer Karriere als Gefängnis»romanist«, als Erzähler, er erzählte gern vor beliebigen Zuhörern alle möglichen »Fürsten Wjasemskij« oder »Herzbuben« – die Klassiker der mündlichen Gefängnisliteratur. Jedesmal bat Genka, ihn auf Mängel in seiner Darbietung hinzuweisen, er träumte von einer Erzählung »in mehreren Stimmen«.
Das sind die beiden Menschen aus der Ganovenwelt, für die das Buch wichtig und notwendig war.
Die übrige Masse der Diebe aber akzeptierte nur die »Rómans« und war damit vollkommen zufriedengestellt.
Es zeigte sich nur, dass nicht alle Krimis mochten, obwohl man sie für die liebste Lektüre der Diebe halten könnte. Doch ein guter historischer »Róman« oder ein Liebesdrama wurde mit größerer Aufmerksamkeit gehört. »Wir kennen all das ja«, sagte Serjosha Uschakow, ein Eisenbahndieb, »all das ist unser Leben. Geheimpolizisten und Diebe – das haben wir satt. Als ob uns nichts anderes interessierte.«
Außer »Rómans« und Gefängnisromanzen gibt es noch die Kinofilme. Alle Ganoven sind leidenschaftliche Filmfreunde, das ist die einzige Art von Kunst, mit der sie »von Angesicht zu Angesicht« zu tun haben, und dabei sehen sie nicht weniger, sondern mehr Filme als der »durchschnittliche« Stadtbewohner.
Hier werden die Krimis eindeutig bevorzugt, und zwar die ausländischen. Die Kinokomödie reizt die Ganoven nur in ihrer groben Form, wenn die Handlung lustig ist. Ein geistreicher Dialog ist nichts für die Ganoven.
Außer den Filmen gibt es den Tanz, den Stepptanz.
Noch etwas Weiteres gibt es, das den ästhetischen Sinn der Ganoven nährt. Das ist der »Erfahrungsaustausch« im Gefängnis – einander Geschichten von den gedrehten »Dingern« zu erzählen, Geschichten auf der Gefängnispritsche, in Erwartung der Untersuchung oder des Abtransports.
Diese Geschichten, der »Erfahrungsaustausch«, nehmen im Leben des Diebes einen gewaltigen Platz ein. Das ist keineswegs nutzloser Zeitvertreib. Es ist Bilanzziehen, Unterricht und Erziehung. Jeder Dieb teilt seinen Kameraden die Einzelheiten seines Lebens, seine Erlebnisse und Abenteuer mit. Auf diese Geschichten (die nur teilweise den Charakter der Prüfung, der Erforschung eines unbekannten Diebes haben) wird der größte Teil der Zeit des Ganoven im Gefängnis verwandt, und im Lager ist es dasselbe.
Sie sind Eigenempfehlung, mit wem man »gelaufen« ist (mit wem man »eingestiegen«, auf Raubzug gegangen ist von jenen Dieben, die die ganze Ganovenwelt zumindest vom Hörensagen kennt).
»Mit welchen ›Menschen‹ bist du bekannt?« Auf diese Frage erfolgt gewöhnlich eine Darstellung der eigenen Großtaten. Das ist »juristisch« zwingend – dank des Erzählten können die Ganoven einen Unbekannten ziemlich zutreffend beurteilen und wissen, wo etwas abzuziehen und was als absolute Wahrheit zu nehmen ist.
Die Darstellung der Diebes-Großtaten, die immer geschönt ist und die Diebesgesetze und das Auftreten der Diebe verherrlicht, ist gerade für die Jugend ein sehr gefährlicher romantischer Köder.
Jedes Faktum wird in so verführerischen, so anziehenden Farben geschildert (mit Farben geizen die Ganoven nicht), dass ein junger Zuhörer, der ins Ganovenmilieu geraten ist (sagen wir, für seinen ersten
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