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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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markierte Stelle.
    Krist bemerkte, er spürte etwas Besonderes in dieser Auszahlung, dieser Aushändigung. Niemand außer Krist kam zum Kassierer. Es gab keinerlei Schlange. Vielleicht hat der fürsorgliche Brigadier die Brigademitglieder so erzogen. Aber was darüber nachdenken! Das Geld ist angewiesen, und der Kassierer zahlt. Krist hatte einfach Glück.
    Der Brigadier selbst war nicht in der Baracke, er war noch nicht zurück aus dem Kontor, und die Feststellung der Personalien des Empfängers übernahm der Stellvertreter des Brigadiers, Oska, der Geschichtslehrer. Er zeigte Krist mit dem Zeigefinger die Stelle für die Unterschrift.
    »Und … und … wie viel?«, krächzte Krist atemlos.
    »Fünfzig Rubel. Zufrieden?«
    Krists Herz sang und klopfte. Das war das Glück. Krist unterzeichnete schnell die Liste, mit der spitzen Feder zerriss er das Papier, und beinahe hätte er das standsichere Tintenfass umgeworfen.
    »Wunderbar«, sagte Oska beifällig.
    Der Kassierer klappte die Aktentasche zu.
    »Niemand sonst in eurer Brigade?«
    »Nein.«
    Krist konnte noch immer nicht begreifen, was geschehen war.
    »Und das Geld? Und das Geld?«
    »Das Geld habe ich Kostotschkin gegeben«, sagte der Kassierer. »Schon heute Mittag.« Und der kleingewachsene Oska riss Krist mit eiserner Hand, mit einer Kraft, die kein einziger Hauer dieser Brigade je hatte, vom Tisch weg und schleuderte ihn ins Dunkle.
    Die Brigade schwieg. Nicht ein Mann unterstützte Krist, stellte irgendeine Frage. Schimpfte Krist auch nur einen Idioten … Das war für Krist schrecklicher als diese Bestie Oska mit ihrer zupackenden, eisernen Hand. Schrecklicher als die kindlichen vollen Lippen des Brigadiers Kostotschkin.
    Die Barackentür sprang auf, und an dem beleuchteten Tisch erschien mit schnellen, leichten Schritten der Brigadier Kostotschkin. Die Rundhölzer, aus denen der Barakkenboden bestand, schwankten fast nicht unter seinem seinem leichten, elastischen Schritt.
    »Hier ist der Brigadier selbst – sprich mit ihm«, sagte Oska und zog sich zurück. Und Kostotschkin erklärte er, auf Krist zeigend: »Geld will er!«
    Aber der Brigadier hatte alles schon auf den ersten Blick verstanden. Kostotschkin fühlte sich sofort im Charbiner Ring. Mit routinierter schöner Boxergebärde aus der Schulter streckte er die Hand zu Krist hin, und Krist fiel betäubt zu Boden.
    »Knock-Out, Knock-Out«, krächzte Oska, tanzte um den halbtoten Krist herum und gab den Schiedsrichter im Ring, »acht … neun … Knock-Out.«
    Krist stand nicht vom Boden auf.
    »Geld? Er will Geld?«, sagte Kostotschkin, setzte sich ruhig an den Tisch und nahm von Oska den Löffel entgegen, um sich an den Napf mit Erbsen zu machen.
    »Diese Trotzkisten«, sagte Kostotschkin langsam und belehrend, »werden mich und dich noch zugrunde richten, Osja.« Kostotschkin erhob die Stimme. »Sie haben das Land zugrunde gerichtet. Und werden uns beide zugrunde richten. Geld will er, der Künstler der Schaufel, Geld. Hej, ihr«, brüllte Kostotschkin die Brigade an. »Ihr, Faschisten! Hört! Mich stecht ihr nicht ab. Tanz, Oska!«
    Krist lag noch immer am Boden. Die gewaltigen Figuren des Brigadiers und des Barackendienstes standen Krist im Licht. Und plötzlich sah Krist, dass Kostotschkin betrunken war, stark betrunken – eben die fünfzig Rubel, die Krist angewiesen waren … Wie viel Alkohol man dafür »einlösen« kann, Alkohol, der der Brigade zusteht, ausgegeben wird …
    Oska, der Stellvertreter des Brigadiers, begann folgsam zu tanzen, dabei sprach er vor sich hin:
    Heute kaufte ich zwei Zuber
    Meine Frau, die heißt Marusja ...
    »Von zu Hause, Brigadier, aus Odessa. Es heißt ›Von der Brücke zum Schlachthof‹.« Und der Geschichtslehrer an einer Hochschule der Hauptstadt, Oska, Vater von vier Kindern, begann wieder zu tanzen.
    »Halt, gieß ein.«
    Oska ertastete unter der Pritsche eine Flasche und goss etwas in ein Konservenglas. Kostotschkin trank und fischte dazu mit den Fingern die Erbsenreste aus dem Napf.
    »Wo ist dieser Künstler der Schaufel?«
    Oska stellte Krist auf die Füße und stieß ihn hinaus ins Licht.
    »Was, du hast keine Kraft? Bekommst du etwa keine Ration? Wer bekommt die zweite Kategorie? Ist dir das zu wenig, Trotzkisten-Aas?«
    Krist schwieg. Die Brigade schwieg.
    »Ich erwürge euch alle. Faschisten, verdammte«, tobte Kostotschkin.
    »Geh, geh an deinen Platz, Künstler der Schaufel, sonst kriegst du noch eins vom Brigadier«, riet Oska

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