Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
Vom Netzwerk:
friedfertig; er umschlang den beduselten Kostotschkin, drängte ihn in die Ecke und kippte ihn auf seine üppige Brigadiers-Liege – die einzige Liege in der Baracke, in der es nur Doppelpritschen gab, zweistöckig, Typus »Eisenbahn«. Oska selbst, der stellvertretende Brigadier und Barackendienst, der auf der äußeren Schlafstelle schlief, übernahm sein drittes wichtiges, durchaus offizielles Amt, das Amt des Leibwächters, des nächtlichen Wächters über den Schlaf, die Ruhe und das Leben des Brigadiers. Krist tastete sich zu seiner Schlafstelle.
    Aber einschlafen konnten weder Kostotschkin noch Krist. Die Barackentür ging auf, ein Streifen weißer Dampf fiel ein, und durch die Tür trat ein Mann mit Ohrenklappenmütze aus Fell und im dunklen Wintermantel mit Karakulkragen. Der Mantel war ziemlich zerdrückt, das Karakul abgeschabt, aber immerhin war es ein echter Mantel und echtes Karakul.
    Der Mann durchquerte die ganze Baracke bis zum Tisch, zum Licht, zu Kostotschkins Liege. Oska begrüßte ihn ehrfurchtsvoll. Oska machte sich daran, den Brigadier wachzurütteln.
    »Minja der Grieche will dich sprechen«. Dieser Name war Krist bekannt. Das war ein Brigadier der Ganoven. »Minja der Grieche will dich sprechen«. Aber Kostotschkin war schon zu sich gekommen und setzte sich mit dem Gesicht zum Licht auf.
    »Du hast wieder gefeiert, Dompteur?«
    »Die … haben mich soweit gebracht, die Dreckskerle …«
    Minja der Grieche grunzte teilnehmend.
    »Irgendwann, Dompteur, jagen sie dich in die Luft. Hm? Legen dir Ammonit unter die Koje, stecken die Schnur an und hui …«, der Grieche zeigte mit dem Finger nach oben. »Oder sägen dir den Kopf mit der Säge ab. Dein Hals ist ja dick, da hat man lange zu sägen.«
    Kostotschkin, der langsam zu sich kam, wartete ab, was der Grieche ihm sagen würde.
    »Nicht ein Schlückchen für jeden? Sag nur, das ist im Nu geregelt.«
    »Nein. In der Brigade haben wir genug von diesem Alkohol. Du weißt selbst. Ich komme wegen ernsterer Dinge.«
    »Stehe zu Diensten.«
    »Stehe zu Diensten«, Minja der Grieche lachte los. »So also haben sie dir in Charbin beigebracht, mit Leuten zu reden.«
    »Ach nur so«, beeilte sich Kostotschkin. »Ich weiß einfach noch nicht, was du willst.«
    »Also«, der Grieche redete sehr schnell, und Kostotschkin nickte zustimmend, der Grieche zeichnete etwas auf den Tisch, und Kostotschkin nickte verständnisvoll. Oska verfolgte das Gespräch interessiert. »Ich bin zum Arbeitsnormer gegangen«, sagte Minja der Grieche, er sprach weder finster noch lebhaft, mit der gewöhnlichsten Stimme. »Der Arbeitsnormer hat gesagt: Kostotschkin ist dran.«
    »Aber sie haben mir ja schon im letzten Monat genommen …«
    »Und was soll ich machen …«, die Stimme des Griechen wurde fröhlicher.
    »Wo sollen denn unsere Leute die Kubik hernehmen? Ich habe mit dem Arbeitsnormer gesprochen. Der Arbeitsnormer sagt – Kostotschkin ist dran.«
    »Aber …«
    »Ja nun. Du kennst ja selbst unsere Lage …«
    »Na gut«, sagte Kostotschkin. »Du rechnest im Kontor zusammen und sagst, sie sollen es bei uns abziehen.«
    »Keine Angst,
frajer
«, sagte Minja der Grieche und klatschte Kostotschkin auf die Schulter. »Heute bist du mir beigesprungen, morgen – ich dir. Das geht bei mir nicht unter. Heute spingst du mir bei, morgen ich dir.«
    »…Morgen wern wir zwei uns küssen«, tanzte Oska, erfreut über die endlich gefallene Entscheidung und fürchtend, das Zaudern des Brigadiers würde die Sache nur verderben.
    »Dann leb wohl, Dompteur«, sagte Minja der Grieche und stand auf. »Der Arbeitsnormer sagt: geh ohne Scheu zu Kostotschkin, zum Dompteur. Er hat einen Tropfen Ganovenblut. Keine Angst, keine Bange. Deine Jungs kriegen das hin. Du hast solche Künstler der Schaufel …«
    1964

RUR
    Aber wir waren doch keine Roboter? Nicht die Roboter aus Čapeks R.U.R. Und keine Bergleute aus den Kohlegruben an der Ruhr. Unsere RUR, das ist die Rotte mit verschärftem Regime, ein Gefängnis im Gefängnis, Lager im Lager … Nein, wir waren keine Roboter. Die metallene Unempfindlichkeit der Roboter hatte etwas Menschliches.
    Übrigens, wer von uns dachte achtunddreißig an Čapek, an das Ruhrgebiet? Erst zwanzig, dreißig Jahre später finden sich die Kräfte zum Vergleichen, erst wenn man versucht, die Zeit, die Farben und das Zeitgefühl neu aufleben zu lassen.
    Damals spürten wir nur eine trübe, vage, dumpfe Freude des Körpers, der vom Hunger verzehrten Muskeln, die

Weitere Kostenlose Bücher