Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
Usolzew war ein Ganove. Alle jungen
urki
zogen längst gemeinsam mit den 58ern ihre Schlitten den Weg entlang. Aber Serjosha konnte nicht zulassen, dass irgendein räudiger
frajer
standhaft blieb, und er – ein angestammter
urka
– sich fügte.
»Gleich entlassen sie uns in die Baracke … Wir stehen ein bisschen«, lächelte Usolzew düster, »und in die Baracke. Zum Aufwärmen.«
Aber man entließ uns nicht in die Baracke.
»Den Hund!«, verfügte der ältere Leutnant.
»Hier, nimm«, sagte Usolzew, ohne den Kopf zu drehen, und die Finger des Ganoven legten mir etwas sehr Dünnes, Gewichtsloses in die Hand. »Verstanden?«
»Verstanden.«
Ich hielt in den Fingern ein Stück Rasierklinge und zeigte die Klinge, von den Begleitposten unbemerkt, dem Hund. Der Hund sah und verstand. Der Hund knurrte, winselte, warf sich hin und her, aber versuchte weder mich noch Usolzew zu reißen. Usolzews Hand hielt das andere Stück der Rasierklinge.
»Er ist noch zu jung!«, sagte der allwissende und vielerfahrene Lagerchef, der ältere Leutnant.
»Zu jung! Wenn Bube hier wäre, der würde zeigen, wie man das macht. Nackt stünden sie da!«
»In die Baracke!«
Sie machten die Tür auf, schoben den schweren Eisenriegel beiseite. Gleich wird uns warm werden, warm.
Aber der ältere Leutnant sagte etwas zum diensthabenden Aufseher, und der ging zum Eisenofen und warf die glimmenden Holzscheite in den Schnee. Die Scheite zischten, bezogen sich mit blauem Rauch, und der Diensthabende scharrte mit den Füßen Schnee zusammen und bedeckte die Scheite damit.
»In die Baracke!«
Wir setzen uns auf das Pritschengestell. Außer Kälte, plötzlicher Kälte, empfanden wir nichts. Wir kauerten uns zusammen und steckten die Arme in die Ärmel …
»Keine Angst«, sagte Usolzew. »Gleich kommen die Jungs mit dem Holz zurück. Und bis dahin tanzen wir.« Und wir fingen an zu tanzen.
Stimmengewirr – das freudige Gewirr sich nähernder Stimmen wurde von einem schroffem Kommando unterbrochen. Unsere Tür ging auf, öffnete sich nicht zum Licht, sondern in dieselbe Finsternis wie in der Baracke.
»Raus!«
»Fledermaus«leuchten schwirrten in den Händen der Begleitposten.
»Antreten!«
Wir sahen nicht sofort, dass die von der Arbeit Zurückgekehrten – gleich neben uns standen. Dass alle angetreten waren und warteten. Wen erwarteten sie?
Im milchigen dunklen Nebel heulten Hunde und bewegten sich Fackeln, die rasch Näherkommenden den Weg erleuchteten. An der Bewegung des Lichts konnte man erkennen, dass nicht Häftlinge kamen.
Voran lief schnellen Schritts, seinen Leibwächtern vorauseilend, ein korpulenter, aber leichtfüßiger Oberst, den ich sofort erkannte – er hatte diese Goldgruben schon öfter inspiziert, in denen unsere Brigade arbeitete. Es war Oberst Garanin. Schwer atmend blieb Garanin vor den Angetretenen stehen und öffnete den Kragen seiner Uniformjacke, mit dem weichen, gepflegten Finger tippte er an die schmutzige Brust eines Häftlings und sagte:
»Wofür sitzt du?«
»Ich habe Artikel …«
»Was soll ich zum Teufel mit deinem Artikel. Für was sitzt du in der RUR?«
»Ich weiß nicht.«
»Du weißt nicht! Hej, Natschalnik!«
»Hier ist das Befehlebuch, Genosse Oberst.«
»Geh mir zum Teufel mit deinem Buch. Ei, ihr Dreckskerle.«
Garanin ging weiter, er schaute jedem ins Gesicht.
»Und du, Alter, wofür bist du in der RUR?«
»Ich bin in Untersuchungshaft. Wir haben ein verendetes Pferd gegessen. Wir Wächter.«
Garanin spuckte aus.
»Achtung, Kommando! Alle in ihre Baracken! Zu euren Brigaden! Und morgen – ins Bergwerk!«
Die Angetretenen zerstreuten sich, alle liefen über den Weg, über den Pfad, durch den Schnee zu den Baracken, in die Brigaden. Auch Usolzew und ich schleppten uns zurück.
1965
Bogdanow
Bogdanow war ein Geck. Immer glatt rasiert, gewaschen, nach Parfum duftend – Gott weiß, was das schon für ein Parfum war –, in einer prächtigen Ohrenmütze aus Rentierkalb, gebunden mit einer komplizierten Schleife aus breiten schwarzen Moiré-Bändern, in einer bestickten, bemalten Jakutenjacke, in gemusterten Rentier-Fellschuhen. Polierte Nägel, die Kragenbinde gestärkt und schneeweiß. Das ganze achtunddreißiger Erschießungsjahr arbeitete Bogdanow als NKWD-Bevollmächtigter in einer der Kolyma-Verwaltungen. Freunde versteckten Bogdanow am Schwarzen See, in der Kohleprospektierung, als im Volkskommissariat für Inneres die Throne zu wanken begannen und die Köpfe der Chefs
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