Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
ruhigsten. Er lächelte alle an und kaute ständig auf etwas herum. Als einer der ersten Lehrgangsteilnehmer bekam er ein gedunsenes Aussehen und quoll auf – die Jahre im Bergwerk hatten bei Min Garipowitsch ihre Spuren hinterlassen. Vom Lehrgang war er vollkommen entzückt.
»Verstehst du, ich bin vierzig Jahre alt und höre zum ersten Mal, dass der Mensch nur eine Leber hat. Und ich dachte zwei, es ist ja alles doppelt.«
Dass der Mensch eine Milz besitzt, versetzte Min Garipowitsch in vollkommene Begeisterung.
Nach seiner Freilassung arbeitete Min Garipowitsch nicht als Feldscher, sondern kehrte zur Arbeit in seiner geliebten Versorgung zurück. Versorgungsagent zu werden war eine noch blendendere Aussicht als die medizinische Karriere.
Neben Schabajew saß Bokis – ein hünenhafter Lette und künftiger Tischtennismeister der Kolyma. Im Krankenhaus hatte er sich schon vor mehreren Jahren »eingenistet«, erst als Kranker, dann als aus den Kranken rekrutierter Sanitäter. Die Ärzte versprachen und besorgten Bokis ein Diplom. Schon mit Feldscher-Diplom fuhr Bokis in die Tajga und sah die Goldbergwerke. Die Tajga war für ihn ein schrecklicher Spuk, aber er fürchtete dort nicht das, was man fürchten muss, die Zerstörung der eigenen Seele. Gleichgültigkeit ist noch nicht Gemeinheit.
Als dritter saß Buka – ein einäugiger Soldat aus dem Zweiten Weltkrieg, verurteilt wegen Marodierens. Das Bergwerk hatte Buka nach drei Monaten wieder ausgeworfen, ins Krankenbett. Bukas sieben Jahre Schule, sein umgänglicher Charakter, die ukrainische Pfiffigkeit, all das kam zusammen, und Buka wurde in den Lehrgang aufgenommen. Mit einem Auge hatte Buka im Bergwerk nicht weniger gesehen, als viele mit zweien; er hatte das Wichtigste gesehen – dass man sein Schicksal fernab von Artikel 58 und der Vielzahl seiner Varianten gestalten kann. Auf dem Lehrgang gab es keinen verschlosseneren Menschen als Buka.
Nach etwa zwei Monaten ersetzte Buka den schwarzen Verband durch ein künstliches Auge. Nur gab es im Krankenhaussortiment keine braunen Augen, und er musste ein blaues nehmen. Der Eindruck war stark, aber bald hatten sich alle – schneller als Buka selbst – an die verschiedenfarbigen Augen gewöhnt. Ich versuchte Buka mit einer Geschichte über die Augen Alexanders des Großen zu trösten. Buka hörte mich höflich an – die Augen Alexanders des Großen waren etwas wie »Politik« – Buka brummte etwas Unbestimmtes und zog sich zurück.
Als vierter in der Ecke an der Wand saß Labutow, wie Buka Soldat im Zweiten Weltkrieg. Er war Funker, ein lebhafter, ehrgeiziger Mensch, und hatte einen Miniaturempfänger gebaut, mit dem er das faschistische Radio hörte. Er erzählte es einem Kameraden und flog auf. Das Tribunal gab ihm zehn Jahre nach »
asa
«. Labutow hatte zehn Jahre Schulbildung, er zeichnete gern alle möglichen Übersichtspläne in der Art von gigantischen Generalstabskarten, mit Pfeilen, Symbolen, mit der Bezeichnung des Unterrichtsfachs, sagen wir, Anatomie – »Die Operation«, »Das Herz«. Die Kolyma kannte er nicht. An diesem Frühlingstag, als wir zur Arbeit getrieben wurden, kam Labutow auf die Idee, ein Bad im nächsten Graben zu nehmen, und wir konnten ihn kaum davon abhalten. Er ist ein guter Feldscher geworden, besonders später, als er sich die Geheimnisse der Physiotherapie erschloss, was für ihn als Elektriker und Funker nicht schwer war, und er fand feste Arbeit im Kabinett für Elektrotherapie.
In der zweiten Reihe saßen Tschernikow, Kaz und Malinskij. Tschernikow war ein selbstzufriedener, ewig lächelnder Junge – ebenfalls Frontkämpfer und nach einem Strafrechtsartikel verurteilt. Er hatte die Kolyma nicht einmal gerochen, auf den Lehrgang kam er aus dem Lager Magadan – aus der städtischen Lagerabteilung. Gebildet genug, um lernen zu können, ging er zu Recht davon aus, dass man ihn auch bei Verstößen nicht aus dem Lehrgang werfen werde, und tat sich schnell mit einer der Lehrgangsteilnehmerinnen zusammen.
Shenka Kaz, Tschernikows Freund, war ein lebhafter »
bytowik
«, dem sehr an seinen üppigen Locken lag. Als Lehrgangs-»Ältester« war er gutmütig und hatte keinerlei Autorität. Schon nach Abschluss des Lehrgangs, als Shenka in der Aufnahme des Ambulatoriums arbeitete und vom Arzt, der den Kranken untersuchte, »Mangan!« hörte – legte er auf die Wunde nicht ein Stück mit schwacher »Kalium hypermanganicum«-Lösung getränkte Gaze, sondern bestreute die Wunde
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