Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)
kamen. In der Baracke lebten zweiundfünfzig Personen, und wir kamen zu zwanzigst. Die Rundholzpritschen waren hoch, die Decke niedrig, aufrecht stehen konnten man nur im Durchgang.
Der Chef war ein flinker, wendiger Bursche. Mit jungen Augen, aber erfahrenem Blick betrachtete er die Reihen seiner neuen Arbeiter. Mein Schal interessierte ihn sofort. Der Schal war natürlich nicht aus Wolle, sondern Baumwolle, aber immerhin ein Schal, ein freier Schal. Den Schal hatte ich im letzten Jahr von einem Krankenhausfeldscher geschenkt bekommen, und seitdem hatte ich ihn weder im Winter noch im Sommer vom Hals genommen. Ich hatte ihn, so gut ich konnte, im Badehaus gewaschen, aber kein einziges Mal in die Entlausung gegeben. Die Läuse, von denen der Schal wimmelte, hätte die Hitzekammer nicht getötet, und den Schal hätte man mir sofort gestohlen. Auf meinen Schal gab es auch eine regelrechte Jagd durch meine Baracken-, Lebens- und Arbeitsnachbarn. Es gab auch eine regellose, durch jeden beliebigen Menschen – wer würde es ausschlagen, sich Tabak und Brot zu verdienen, so einen Schal kauft jeder Freie, und die Läuse kann man leicht verdampfen. Das ist nur für einen Häftling schwierig. Aber ich knotete mir den Schal vor dem Einschlafen heroisch um den Hals und litt unter den Läusen, an die man sich nicht gewöhnen kann, so wenig wie man sich an die Kälte gewöhnen kann.
»Verkaufst du ihn?«, fragte der Schwarzbärtige.
»Nein«, antwortete ich.
»Na, wie du meinst. Du brauchst keinen Schal.«
Dieses Gespräch gefiel mir nicht. Schlecht war auch, dass wir hier nur einmal am Tag zu essen bekamen – nach der Arbeit. Und morgens – nur kochendes Wasser und Brot. Aber so etwas war mir auch schon früher begegnet. Die Chefs achteten wenig auf die Fütterung der Häftlinge. Jeder machte es sich so einfach wie möglich.
Alle Lebensmittel wurden bei dem freien Vorarbeiter aufbewahrt – er wohnte mit seiner Ishewka in einem winzigen Blockhaus zehn Schritt von der Baracke. Eine solche Aufbewahrung der Lebensmittel war auch etwas Neues, gewöhnlich werden die Lebensmittel nicht bei der Betriebsleitung aufbewahrt, sondern bei den Häftlingen selbst, aber die Ordnung am Diamantenquell war offensichtlich besser – die Nahrungsmittelvorräte in den Händen der hungrigen Gefangenen zu lagern ist immer gefährlich und riskant, und von diesem Risiko wissen alle.
Zur Arbeit liefen wir weit, etwa vier Kilometer. Und es war klar, dass sich der selektive Holzeinschlag von Tag zu Tag immer weiter in die Tiefe der Klamm entfernen würde.
Ein weiter Fußweg ist für den Häftling selbst mit Begleitposten eher gut als schlecht: je mehr Zeit der Fußweg braucht, desto weniger bleibt für die Arbeit, was immer Normierer und Vorarbeiter auch berechnet haben.
Die Arbeit war nicht schlechter und nicht besser als jede Häftlingsarbeit im Wald. Wir fällten die vom Vorarbeiter mit Kerben versehenen Bäume, zersägten sie, entfernten die Äste und stapelten die Äste auf einen Haufen. Das Schwerste war, den Stamm mit dem dicken Ende auf den Stumpf zu wuchten, um ihn vor dem Schnee zu schützen, aber der Vorarbeiter wusste, dass bald abgefahren wird, dass Traktoren kommen, er wusste, dass es zu Winteranfang keinen tiefen Schnee gibt, der diese gefällten Bäume bedecken könnte, und verlangte nicht immer, dass wir den Stamm auf den Stumpf heben.
Die Überraschung erwartete mich am Abend.
Das Abendessen am Diamantenquell – war Frühstück, Mittag- und Abendessen; alles zusammen wirkten sie nicht reicher oder nahrhafter als jedes Mittag- oder Abendessen im Bergwerk. Mein Magen versicherte mir nachdrücklich, dass die Menge der Kalorien und der Nährwert noch geringer waren als im Bergwerk, wo wir weniger als die Hälfte der uns zustehenden Ration bekamen – alles Übrige setzte sich in den Schüsseln der Chefs, der Versorgung und der Ganoven ab. Aber ich glaubte dem an der Kolyma ausgehungerten Magen nicht. Seine Einschätzungen waren übertrieben oder untertrieben – er wollte zu viel, forderte zu aufdringlich, war allzu parteiisch.
Nach dem Abendessen legte sich, warum auch immer, niemand schlafen. Alle warteten auf etwas. Auf eine Kontrolle? Nein, es gab keine Kontrolle. Schließlich öffnete sich die Tür, und der unermüdliche schwarzbärtige Vorarbeiter kam herein mit einem Papier in der Hand. Der Barackendienst nahm die Benzinfunzel von der oberen Pritsche und stellte sie auf den Tisch, der mitten in der Baracke in den Boden
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