Kuenstlernovellenovellen
das Fleisch lieben. Jetzt hab' ich es erlöst. Jetzt kann ich ganz die Flügel ausbreiten, und zwischen Himmel und Erde hindert nichts mehr meinen schönen Flug. Sie werden sehen, daß ich schöner bin als die Amati. Sie werden mich nicht lieben, weil ich süß bin, mich zerflattern lasse und Mitleid verdiene. Sie werden mich lieben, weil ich stark bin, mit Leidenschaft bei mir bin und ihnen Reue über ihre verlorenen Leben mache!... Was murmelt Ihr, Sturba-notte?"
„Das ich alt bin und obendrein bucklig. Sonst bliebe ich keine Nacht mehr in Rom."
„Auch Ihr versteht mich nicht, Sturbanotte."
IV
„Sind die Leute schon fort?" fragte die Branzilla. „Laßt uns sehen! Zieht doch den Vorhang auf, ihr Kleinen! Wenn auch nur drei Personen im Saal geblieben sind, werde ich noch etwas singen: ihr sollt staunen. Nie war ich so in Stimmung: in Paris nicht, in London nicht." „Zuviel Ehre, Signora! Ihr habt uns sehr glücklich gemacht. Mindestens acht Tage lang werden wir alle zu essen haben."
„Kein Mensch mehr da? Nun, gleichviel, ich bin zufrieden. Es war ein guter Gedanke, daß ich die Postpferde abbestellte und in eure Schmiere zu Gast kam." „Ein sehrguterGedanke!" - unddiearmen Komödianten umdrängten sie gebückt. Die alte Königin wischte mit ihrem Purpur den einzigen Stuhl ab. „Er war ein Baumstumpf", sagte die Branzilla. „Das grüne Tuch dort hinten will sagen, daß wir in einem Walde sind. Warum nicht? Die Leute haben es uns geglaubt. Welch gierige Gesichter aus den zerbrochenen Bänken zu uns herauf atmeten und funkelten! Ach, ihr Geruch ist noch da: Knoblauch und Rauch, der Geruch der Armen. Lange schmeckte ich ihn nicht mehr... Auch ich war arm. Auch ich saß, ganz jung, auf den Bänken wackliger Vorstadttheater und starrte durch den Tabakrauch auf den Götterglanz hier oben: euren Götterglanz, liebe Freunde! Es war schön ... Vielleicht saß auch heute abend solch ein junges Mädchen drunter? Eins, das einmal groß sein wird? Oh, sehr reizend sind, die noch alles vor sich haben. Und sehr schrecklich!" Die Branzilla sprang auf. In ihrem Samt und ihren Spitzen fuhr sie hin und her vor der elenden Schar. Plötzlich entschloß sie sich.
„Euer Tenor - wie nennt ihr ihn? - ist nicht übel. Ich möchte sagen, daß er etwas taugt. Ich kann sogar zugeben, daß er große Mittel hat. Was wollt ihr noch mehr von mir? Soll ich gestehen, ich erkennte ihn an? Schließlich hat er ein wenig Übung: und wer weiß von ihm, wo gilt er? Gleichviel: ich habe ihn gehört und werde ihn nicht verleugnen. Sagt, wo steckt er? Er ist der einzige von euch, der davonläuft, wenn euch die Branzilla beehrt. übrigens hat er auch vom Beifall vorhin zuviel für sich genommen... Nun, sagt ihm, daß ich ihm Glück wünsche, und lebt wohl!" Aber in den Kulissen machte sie kehrt. „Ja, was tun: Die Nacht ist noch lang. Du bist ein hübsches Kind. Erstaunlich viele Kinder habt ihr hier; aber du bist das hübscheste. Soll ich dir etwas schenken? Willst du den Ring? Es heißt, die Branzilla sei geizig. Nicht immer ist sie's. Verlier ihn nicht! Deine Mutter bekommt hundertundsechzig Taler dafür. Wer ist deine Mutter?"
Mehrere grelle Frauenstimmen antworteten: „Sie liegt schon wiederim Kindbett. Diesmal hatsieesvon Uiisse."
„Wer, Ulisse?" „Cavazzaro, der Tenor."
„Ach du -" und die Branzilla stieß das Kind von sich. „Gib den Ring wieder her! Deine Mutter hat es mit jenem Ulisse gehalten. Welche Schamlose!" Sie wandte sich ab, tief errötet.
„Nichts begreife ich so wenig wie solche Frauen ... Und er! Er ist bei ihr! Rasch, sagt mir, ob er nicht bei ihr ist. Was denn? Bei einem Liebchen in der Stadt soll er sein? Er soll viele Frauen haben, überall, und Kinder zu Haufen? Seid ihr verrückt? Er ist ein Künstler, ja, ihr sollt die Wahrheit wissen: ein großer Künstler. Wie könnte er sich also vergessen? Sich zu euch herablassen, ihr Weiber? Ihr verleumdet ihn! Ich kenne euch. Du lange Blonde, du bist eifersüchtig, du hast ihn vergebens begehrt. Nimm diesen Backenstreich! Und geht! Geht alle zum Teufel!"
In der staubigen Garderobe schrie sie ihre Kammerfrau an, stieß sie hinaus, schleuderte einen silbernen Schminknapf zu Boden und untersuchte, ernüchtert, ob er beschädigt sei. Es klopfte; sie schlich zur Tür. „Ach, Ihr! Geht nur wieder fort! Ich mag keine Taugenichtse."
„Ihr habt von mir gesprochen, Signora, Ihr wünschtet mich zu sehen."
Er nahm, um zu reden, einen Nelkenstengel aus den Zähnen und
Weitere Kostenlose Bücher