Küss den Wolf
lassen. Und wenn du wieder einen freien Kopf hast, startest du ganz neu durch. Vielleicht sogar mit Video-Rezensionen, die du auf YouTube stellst.«
»Hm, ich weiß nicht so recht.«
Im Grunde war Marcs Idee gut, nein, sie war nicht nur gut, sie war perfekt. Aber ich brachte es nicht fertig, ihm das zu sagen. Ich wurde einfach den Verdacht nicht los, dass er keine Möglichkeit ausließ, sich und sein Schreibtalent ins Rampenlicht zu setzen.
Mein Blog war dafür natürlich keine schlechte Plattform, schließlich hatte ich mir im Laufe der letzten zwei Jahre eine große Anzahl an Lesern erarbeitet. Am besten rief ich nachher mal Tinka an, um zu fragen, was sie davon hielt.
»Wie geht es eigentlich deiner Großtante?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln. »Hat sie den Schock mit der Ratte verkraftet? Im Hamburger Abendblatt habe ich etwas über eine gewisse Viola D. gelesen, bei der nach dieser Geschichte auch noch die Elektrik ausfiel und es einen Tag später einen großen Wasserschaden gab. Ist diese Viola deine Tante?«
»Ja, leider«, seufzte Marc. »Also ich meine natürlich nicht, dass sie leider meine Großtante ist, sondern dass es wirklich schlimm ist, dass ihr all diese blöden Dinge passiert sind. Ich habe ihr geholfen, so gut ich konnte. Der Kammerjäger war da und der Elektriker. Mittlerweile hat sie sich zum Glück wieder etwas beruhigt. Aber als das alles nacheinander passiert ist, war sie drauf und dran, ins Seniorenheim zu ziehen. Es ist nicht so leicht, wenn man in diesem Alter alleine lebt. Meine Eltern sind für das Heim, weil sie viel zu wenig Zeit haben, sich um Viola zu kümmern.« Ich dachte an Theodora und daran, wie es in Zukunft mit ihr weitergehen würde. Momentan kümmerte Irene sich um das Haus und um den Garten, aber morgen wollten Verena und ich nach Ohlstedt fahren, um nach dem Rechten zu sehen.
»Wie ist das denn mit deiner Oma? Lebt dein Großvater noch?«, fragte Marc.
»Nein, leider nicht. Er ist gestorben, als ich acht war.«
»Kannst du dich denn noch ganz gut an ihn erinnern? Wie war er denn so? Hast du irgendeine Ähnlichkeit mit ihm?«
Ich lachte. »Nein, eher nicht. Ottokar war mit Leib und Seele Theaterschauspieler. So hat er auch Theodora kennengelernt. Sie war Kostümbildnerin und gelernte Hutmacherin. Ich mochte ihn sehr, sehr gern. Wenn er daheim war, was leider selten der Fall war, sind wir zusammen auf den Dachboden geklettert, haben in Omas Kostümfundus gewühlt, uns verkleidet und Theater gespielt.« Marc lächelte, während ich meinen Erinnerungen nachhing. Eigentlich war es Ottokar gewesen, der in mir die Liebe zu Geschichten geweckt hatte. Wenn er mir etwas erzählt hatte, waren die Figuren in meinem Kopf tausendmal lebendiger gewesen als die Helden aus irgendwelchen Romanen. »Dann ist deine Liebe zum Film eine konsequente Fortsetzung der Liebe deines Großvaters zum Theater«, schlussfolgerte Marc nachdenklich. »Interessanter Gedanke! So habe ich das noch nie betrachtet«, antwortete ich und lachte, als ich sah, wie Eagle sich plötzlich todesmutig einer riesigen französischen Bulldogge näherte und freudig mit dem Schwanz wedelte. Kyra interessierte sich weitaus mehr für die Fußball spielenden Jungs und hechtete dem Ball hinterher, statt ihn ins Tor rollen zu lassen. Marc pfiff und rief: »Kyra, aus, hierher!«, was den Labrador allerdings überhaupt nicht beeindruckte.
»Scheint so, dass sie gern mitkicken würde«, grinste ich und streichelte Terrier Trixie.
Die Sonne kitzelte meine Nase und ich war glücklich. Der Hundespaziergang und das Gespräch mit Marc hatten erstaunlicherweise Spaß gemacht.
Der gestrige Abend mit Leo war schwer romantisch und sehr aufregend gewesen, auch wenn Holla mir schlussendlich einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte.
Doch obwohl ich ungeduldig war, gab es keinen wirklichen Grund, sich zu ärgern. Leo war in mich verliebt und wollte mit mir zusammen sein. Also würde es noch unzählige andere Gelegenheiten geben, auch wenn er immer so viel arbeiten musste, wie zum Beispiel an diesem Wochenende…
29.
Samstag, 24. April – Eine
Altbauwohnung irgendwo in Hamburg
Unruhig tigerte er in seiner Wohnung auf und ab.
Seine Gedanken fuhren Karussell.
Obwohl er gerade draußen gewesen war, um sich Bewegung zu verschaffen, konnte er sich einfach nicht beruhigen.
Keiner seiner Pläne war bislang aufgegangen.
Viola D. hatte sich wieder beruhigt, Lothar Merseburg war nach dem Krankenhausaufenthalt wieder auf
Weitere Kostenlose Bücher