Küss mich Engel
entscheiden.«
»Das stimmt nicht ganz. Die Petroffs haben sich schon immer dem höheren Wohl der Romanovs verschrieben, selbst wenn die Romanovs anderer Ansicht gewesen sein mochten.«
Alex, der Max in die Augen sah, erkannte, dass Daisys Vater, was dieses Thema betraf, nicht ganz zurechnungsfähig war. Max mochte in allen anderen Dingen des Lebens ein durchaus vernünftiger Mann sein, aber nicht, was das betraf.
»Du wolltest die Linie aussterben lassen«, sagte Max. »Das durfte ich nicht zulassen.«
Es hatte keinen Zweck, weiter mit ihm über dieses Thema zu diskutieren. Für Max war dieses Kind bloß ein Pfand, aber für ihn selbst bedeutete es weit mehr, und auf einmal verspürte er den Instinkt eines Vaters, der sein Kind um jeden Preis beschützen will.
»Was für Pillen hat sie genommen? Was hast du ihr gegeben?«
»Nichts, das dem Baby schaden würde. Bloß harmlose Fluoridtabletten, das ist alles.« Max sackte wieder in den Stuhl zurück. »Du musst sie finden, bevor sie was Dummes anstellt. Wenn sie es nun abgetrieben hat?«
Alex starrte den alten Mann an. Mitleid wallte in ihm auf und ersetzte seine Bitterkeit. Er musste an all die Jahre denken, die Max verschwendet hatte, in denen er seine bemerkenswerte Tochter besser hätte kennenlernen können.
»Nichts auf der Welt könnte sie dazu bringen. Sie hat Mumm, Max. Und sie wird alles tun, was in ihrer Macht steht, um dieses Kind zu beschützen.«
Alex stieß am folgenden Vormittag wieder zum Zirkus, gerade als die ersten Lastwagen auf den Zeltplatz in Chattanooga rumpelten. Jetzt, wo die Tage allmählich kürzer wurden und der Sommer ein Ende nahm, wand sich der Zirkus gen Süden zurück, in sein Winterquartier in der Nähe von Tampa, in Florida, wo sie in der letzten Oktoberwoche auch ihre letzten Vorstellungen geben würden. Er war noch bis Januar vom College beurlaubt und hatte vorgehabt, eine Forschungsreise in die Ukraine zu machen. Doch nun wusste er nicht mehr, was er tun sollte. Ohne Daisy war ihm so ziemlich alles egal.
Er überflog automatisch den Zeltplatz und sah, dass er hügelig war. Es gab kaum genug Fläche, um das big top aufzustellen. Seine Augen brannten vor Müdigkeit, aber er war froh um die Herausforderung eines unebenen Bodens. Er wusste, dass er sie dadurch zwar nicht aus dem Kopf bekommen würde - das vermochte nichts -, aber zumindest würde dadurch die Zeit schneller vergehen.
Trey fuhr seinen Trailer heute vormittag zum nächsten Platz, aber er war bis jetzt noch nicht eingetroffen, also ging Alex hinüber zum Kochzelt, um sich eine Tasse von dem bitter-starken Kaffee zu genehmigen, der ihm ein Loch in seinen ohnehin bereits übersäuerten Magen brennen würde. Bevor er sich jedoch einschenken konnte, hörte er ein schrilles, befehlshaberisches Trompeten. Er fluchte leise und machte sich auf den Weg zu den Elefanten.
Als er dort ankam, war er nicht überrascht, Neeco verärgert vorzufinden. »Gib mir den Schocker zurück, Alex. Bloß ein Hieb, und wir haben Ruhe von diesem Theater.«
Alex wusste, dass Neeco, obwohl er sich im Moment aufregte, seit seiner Begegnung mit Sinjun im Grunde genug vom Schocker hatte. Er hatte den Eindruck, dass Daisys Art, mit den Tieren umzugehen, dem Elefantendompteur ein wenig die Augen geöffnet hatte, denn er ging nun sanfter mit den Elefanten um, und sie arbeiteten seitdem besser denn je für ihn. Doch er musste Neeco dennoch begreiflich machen, dass es kein Zurück mehr zu seiner alten Methode gab.
»Solang ich hier Boss bin, wirst du den Schocker nicht mehr benutzen.«
»Dann schaff mir den kleinen Nervtöter bloß vom Leib.«
Alex ging hinüber zu Tater und ließ die Umarmung des kleinen Elefanten über sich ergehen. Die kleine Rüsselspitze krabbelte unter sein Hemd, um an seinem Hals zu schnüffeln, genau wie bei Daisy. Alex band ihn los und machte sich auf den Weg zum Spulenwagen, Tater im Schlepptau.
Als Daisy verschwand, hatte Tater aufgehört zu fressen, aber Alex war zu sehr in seine eigene private Hölle verstrickt gewesen, um es zu bemerken. Erst als sich der Zustand des Kleinen dramatisch verschlechterte, hatte Neeco Alex gezwungen, sich des Problems anzunehmen.
Er brauchte nicht lange, um festzustellen, dass der kleine Elefant seine Gegenwart als tröstlich empfand, nicht wegen irgend etwas, das Alex tat, sondern weil er ihn mit Daisy assoziierte. Es dauerte nicht lange, und er fing wieder an zu fressen und folgte überdies von nun an Alex auf Schritt und
Weitere Kostenlose Bücher