Küss mich Engel
Tritt.
Die beiden gingen zum Spulenwagen, wo die Zeltleinwand zum Entrollen bereitlag, sobald sie sich für einen geeigneten Platz zum Aufschlagen entschieden hatten. Brady war schon vor ihm eingetroffen, aber er trat beiseite, als Alex herankam. Alex wusste nicht, was er ohne Brady getan hätte. Er und Jack hatten immer dann für ihn übernommen, wenn er, wie in letzter Zeit so häufig, weggewesen war.
Die nächsten paar Stunden schuftete Alex an der Seite der Arbeiter, um das big top auf diesem schwierigen Terrain zu errichten. Er trug noch immer die Sachen, die er im Flugzeug angehabt hatte, hörte jedoch nicht mit Arbeiten auf, als Trey mit seinem Wohnwagen eintraf. Sein blaues Oxfordhemd war schweißdurchtränkt, und er hatte sich die graue Anzughose aufgerissen, doch das war ihm egal. Die schwere körperliche Arbeit hielt ihn wenigstens vom Grübeln ab.
Als er es nicht länger hinausschieben konnte, machte er sich auf den Weg zum Wohnwagen, Tater immer dicht auf seinen Fersen. Er machte das Tier bei einem Heuhaufen fest, den Digger für ihn dort hinterlassen hatte, und ging dann zögernd auf den Wohnwagen zu. Dort drinnen roch es überall nach Daisy, überall sah man ihre liebevolle Hand, und er hasste es, reinzugehen.
Er tat es dennoch, und während er sich umzog, wurde er von Vorstellungen heimgesucht, wie sie mit Dreck an Gesicht und Kleidung in der Tür auftauchte, Stroh in den wirren Haaren und ein glückliches Glänzen in den Augen. Er ging zum Kühlschrank, doch alles, was er darin fand, waren eine Dose Bier und ein Karton Joghurts, den Daisy für sich gekauft hatte. Sie waren schon vor zwei Wochen abgelaufen, aber er brachte es einfach nicht übers Herz, sie wegzuwerfen.
Er nahm sich das Bier und trug es mit nach draußen, wo er die Dose aufmachte, während er zu Tater ging. Der kleine Elefant kühlte sich mit Heuportionen auf dem Rücken ab. Er nahm einen frischen Haufen und bestäubte Alex freundlich damit. Alex hatte nicht lange gebraucht, um herauszufinden, warum Daisy dauernd Strohhalme in den Haaren gehabt hatte.
»Ich wette, sie vermisst dich, mein Freund«, sagte er leise, während er dem kleinen Elefanten über den Rüssel rieb.
Sinjun würde sie sicher noch viel mehr vermissen. Zwischen den beiden bestand eine eigenartige, sehr enge Verbindung, die er nie ganz begriffen hatte. Sie arbeitete unheimlich gerne mit den Tieren, für die sonst keiner Geduld aufbrachte: der freche kleine Elefant, das scheue Gorillaweibchen, der stolze alte Tiger. Es war sicher schwer für sie, nicht mehr mit den geliebten Tieren Zusammensein zu können.
Er hielt ruckartig inne und bekam eine Gänsehaut. Sein Atem stockte. Wer sagte, dass sie nicht bei einem von diesen Tieren war?
Vierundzwanzig Stunden später stand er an der Abtrennung des Menschenaffengeheges im Brookfield-Zoo von Chicago und betrachtete Glenna, die auf einem Felsen in der Mitte des Geheges saß und an einer Selleriestaude knabberte. Er schlenderte schon seit Stunden über die schmalen, hügeligen Pfade um das geräumige Gehege herum. Seine Augen brannten vor Müdigkeit, sein Kopf schmerzte, und die Magensäure brannte ihm ein Loch durch die Eingeweide.
Und wenn er sich nun irrte? Wenn sie nun überhaupt nicht kam? Er war im Personalbüro des Zoos gewesen und wusste bereits, dass sie nicht dort arbeitete. Aber er war sicher, dass sie in Glennas Nähe würde sein wollen. Im übrigen wusste er nicht, wo er sonst noch hätte suchen sollen.
Du Trottel. Das Wort hämmerte durch sein Hirn wie der Zeltstangenbohrer. Trottel. Trottel. Trottel. Trottel.
Sein Kummer war zu intim, um ihn andere sehen zu lassen, also ging er den gewundenen Pfad zum oberen Teil des Geheges hinauf, als er die lauten Stimmen einer weiteren Schulklasse herankommen hörte. Der Weg war mit tropischen Pflanzen bestanden und wurde von einem bambusgrüngestrichenen Eisengeländer begrenzt, das mit Seilen umwickelt worden war. Oben fand er ein stilles Plätzchen. Glenna zog an einem dicken Seil, das von einem der künstlichen Kletterbäume hing, oben auf dem Gipfel des Gorillahügels. Sie kam langsam näher. Sie sah gesund und zufrieden aus, schien sich also in ihrem neuen Heim wohlzufühlen. Sie hockte sich nicht weit entfernt hin und knabberte friedlich weiter, diesmal an einer Karotte.
Auf einmal fuhr ihr Kopf hoch, und sie stieß Schmatzlaute aus. Er folgte der Richtung ihres Blicks und sah Daisy am unteren Geländer stehen und zu dem Gorillaweibchen aufblicken.
Sein
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