Küss mich Engel
aus dem Munde eines Jugendlichen hörte. Sie selbst benutzte keine Schimpfwörter. Noch so eine Laune ihrer rebellischen Natur.
»Du bist so hübsch. Eine solche Ausdrucksweise steht dir überhaupt nicht.«
Heather warf ihr einen Blick weltmännischer Verachtung zu. »Fuck off.«
Sie nahm die Zigarette aus ihrem Mundwinkel, ließ sie zu Boden fallen und trat sie mit ihrer Sandale aus.
Daisy blickte sehnsüchtig auf den zertretenen Stummel. Da waren mindestens noch drei gute Züge drin gewesen.
»Alex kann jede haben, die er will«, warf ihr Heather noch über die Schulter zu, bevor sie davonstapfte. »Du bist vielleicht im Moment seine Freundin, aber glaub mir, lange machst du‘s nicht.«
Bevor ihr Daisy sagen konnte, dass sie Alex‘ Frau war, nicht seine Freundin, war der Teenager schon verschwunden. Selbst beim besten Willen ließ sich nicht behaupten, dass diese erste Begegnung mit einem der Zirkusleute gut verlaufen war.
Die nächste halbe Stunde verbrachte sie damit, über das Gelände zu schlendern. Die Elefanten beobachtete sie aus sicherer Entfernung und versuchte überhaupt, niemandem im Weg zu sein. Sie erkannte, dass eine subtile Ordnung im Aufbau und in der Organisation des Zirkus steckte. Vorn und in der Mitte standen die Souvenirstände und Eßbuden, daneben ein Zelt mit grellbunten Plakaten, auf denen wilde Tiere grauslig ihre Beute verschlangen. Auf einem Schild über dem Zelteingang war zu lesen: QUEST BROTHERS MENAGERIE. Gegenüber stand ein Zirkuswagen mit einem Ticketschalter. Schwere Lastwagen waren an den Seiten und etwas abseits von den Besuchern abgestellt worden, während die Haustrailer, Wohnwagen und Campmobile im hinteren Teil parkten.
Während sich die Menge vor dem großen Zelt zu sammeln begann, ging sie vorbei an Imbissbuden, Souvenirständen und Ständen mit diversem Zuckerzeug, darunter die unvermeidliche Zuckerwatte. Es roch nach Waffeln und Popcorn und nach Tieren und auch ein wenig muffelig vom großen Zelt her. Ein Mann Anfang Dreißig mit schütterem, sandfarbenem Haar und einer lauten Stimme versuchte die Besucher in die Menagerie zu locken.
»Für nur einen Dollar, Ladies and Gentlemen, können Sie einen wilden sibirischen Tiger sehen, dazu ein Kamel, ein Lama, das Ihre Kinder lieben werden, und einen riesigen, gefährlichen Gorilla ...«
Während er munter weiterdröhnte, ging Daisy um die Menge herum und an einem Küchenzelt vorbei, in dem gerade ein paar Arbeiter beim Essen saßen. Schon bei ihrer Ankunft war ihr aufgefallen, wie laut es hier war, und nun sah sie, woher dieses ständige laute Brummen kam: aus einem Laster mit zwei großen gelben Stromgeneratoren. Dicke Kabel schlängelten sich von dort zum großen Zelt, andere zu den Buden und Wohnwagen.
Eine Frau in einem taubenblauen, mit Marabufedern besetzten Cape tauchte aus einem Camper auf und unterhielt sich mit einem Clown mit knalloranger Perücke. Andere Artisten sammelten sich unter einem Zeltvordach, das wohl der Bühneneingang zum großen Zelt sein musste, wie Daisy vermutete, da er auf der entgegengesetzten Seite des Publikumseingangs lag. Von Alex war keine Spur zu sehen, und sie fragte sich, wo er wohl sein mochte.
Da tauchten die Elefanten auf, in herrlichen scharlachrotgoldenen Decken und prächtigem, federnschwingendem Kopfschmuck. Als sie in ihrer gemächlichen Gangart an ihr vorbeitrotteten, schrak sie gegen die Hauswand eines Trailers zurück. Kleine Hunde jagten ihr schon eine Heidenangst ein, und wenn ihr ein Elefant zu nahe kam, fiel sie sicher in Ohnmacht.
Ein paar prächtige Pferde mit straßbesetztem Zaumzeug tänzelten anmutig vorbei. Sie suchte nervös in ihrer Tasche nach der fast leeren Packung Zigaretten, die sie einem Lastwagenfahrer hatte abschwatzen können, und zündete sich eine an.
»Alles aufstellen zur Spec! Auf geht‘s, nun macht schon!«
Die Aufforderung kam von dem Mann, der zuvor volldröhnend das Publikum angelockt hatte; er schlüpfte soeben in die knallrote Smokingjacke eines Zirkusdirektors. Da erschien auf einmal auch Alex auf einem herrlichen schwarzen Hengst, und Daisy merkte, dass er nicht nur der Manager war, sondern auch zu den Artisten gehörte.
Er hatte die »Bühnenversion« einer Kosakentracht an: weißes, weichfließendes Seidenhemd mit weiten Ärmeln und weiten schwarzen Hosen, die in wadenhohen, enganliegenden schwarzen Lederstiefeln steckten. Um die Hüften trug er eine straßbesetzte scharlachrote Schärpe, deren Fransenenden an einer Seite
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