Küss mich, Sweetheart: Roman (German Edition)
zurückkam, an einem Herzinfarkt.«
Gillian wusste dazu nichts anderes zu erwidern als: »Das tut mir Leid.«
Samuel Laws Stimme änderte sich etwas. Sein resonanter Bariton wechselte von dem bisherigen bestimmten Ton zu einem Klang, der sie an das Reiben von zusammengedrücktem Samt an bloßer Haut erinnerte. »Bert war vierundneunzig. Er liebte seine Familie, er liebte seine Stadt, er liebte seine Arbeit. Und er liebte seinen Garten. Er war in seinem Leben bis zu dem Morgen, an dem er starb, nicht einen Tag krank gewesen.«
»Er hat ein langes, glückliches Leben gelebt.«
»Ja, das hat er.«
Gillian warf ihm einen schrägen Blick zu. »Dann steht dieses Büro in der Tradition von Spitzenanwälten.«
Er stimmte ihr nicht direkt zu, widersprach ihr aber auch nicht. »So könnte man es ausdrücken.«
Sie übte sich in Small Talk. »Sie haben also einmal in New York als Anwalt praktiziert.«
»Ja. Das ist eine Weile her. Ich bin vor einigen Jahren wieder nach Sweetheart zurückgekommen.«
»Sie sind einer der wenigen Leute, die ich kenne, die in ihre Heimatstadt zurückgekehrt sind.«
»Eine Menge Leute verlassen ihre Heimatstadt erst gar nicht«, gab er zu bedenken.
»Dazu gehöre ich«, sagte sie, um sich fast sofort zu verbessern: »Abgesehen von der Zeit, die ich in einem Internat in der Schweiz verbracht habe. Dazu kamen ein Semester in Oxford und ein Jahr Studium an der Sorbonne. Aber New York habe ich nie wirklich verlassen.«
»Nun, zum augenblicklichen Zeitpunkt kann ich mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben als in Sweetheart, Indiana, mit all seinen Fehlern.«
Sie war ehrlich neugierig: »Sie haben Ihre Entscheidung also nie bereut.«
»Nein.«
Sie ergab sich ihrer Neugierde noch etwas länger. »Sie mussten sich bei Ihrer Rückkehr sicher ganz schön umstellen.«
»Wohl wahr.« Samuel Law zuckte die breiten Schultern. »Wenn es etwas gibt, das ich auf die harte Tour gelernt habe, dann die Lektion, dass es keine Vollkommenheit gibt.«
»Es gibt keinen vollkommenen Ort, das heißt, es gibt auch keine perfekte Heimatstadt«, sagte sie und zog damit ihre eigenen Schlüsse.
»Genau. Für mich kommt Sweetheart dem Ideal schon sehr nahe. Im Übrigen werden Ihnen die Leute hier sagen, dass die Laws in diesen Teilen des Landes immer das Gesetz verkörperten.«
Sie gab vor, nicht zu verstehen.
»Mein Großvater war drei Jahrzehnte lang Sheriff von Sweetheart County«, erklärte er. »Mein Vater ist erst im September letzten Jahres aus dem gleichen Job in den Ruhestand gegangen. In meiner Familie stand für jeden fest, dass ich bei den Gesetzeshütern landen würde, wie mein Vater und mein Großvater. Letztendlich haben wir uns alle – meine Zwillingsschwestern, mein jüngerer Bruder und ich – zum Jurastudium entschlossen.«
»Klingt für mich«, sagte sie nur halb im Scherz, »als seien die Laws das Gesetz selbst.«
Samuel Law schüttelte den Kopf; plötzlich fiel ihm die blauschwarze Haarsträhne, die Gillian von dem Schnappschuss her kannte, in die Stirn. Sie gab ihm ein leicht verwegenes Aussehen. »Kein Mensch, weder Mann noch Frau, steht über dem Gesetz.«
Sie konnte nicht widerstehen: »Aber wurden Gesetze nicht gemacht, um sie zu brechen?«
»›Wenn das Gesetz so etwas annimmt, so ist das Gesetz ein Esel und ein Arsch.‹« Er räusperte sich. »Zumindest war Dickens dieser Ansicht.«
»Wie ist es mit dem Gesetz des Dschungels?«
»Kipling schrieb über dieses spezielle Gesetz, während er im indischen Dschungel war.«
Sie presste die Lippen zusammen. »›Als Erstes lasst uns alle Anwälte töten.‹«
Er reagierte sofort. »Shakespeare. König Heinrich VI. , wenn ich mich nicht täusche.«
Er täuschte sich nicht.
»Ich glaube mich an einen Zeitungsartikel über einen Prozess zu erinnern, bei dem es um Mord ging. Der Anwalt des Angeklagten schlief die meiste Zeit über in den Verhandlungen. Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt. Dennoch wurde der Angeklagte für schuldig befunden, weil ein Richtergremium der Meinung war, dass man kein verfassungsmäßig verbürgtes Recht auf einen Verteidiger habe, der während der Verhandlung wach sei.«
Der Mann vor ihr hatte noch eine weitere Geschichte auf Lager. »Dann gibt es die Story, bei der ein Anwalt sich selbst vertrat und unterlag. Er ging in die Berufung und brachte vor, er habe sich nicht adäquat darüber informiert, dass es dumm sei, als sein eigener Verteidiger aufzutreten.«
Sie hatte auch etwas
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