Kuess mich toedlich
müssen. Diese ersten Tage, als ich mir sicher war, der Schmerz bringt mich langsam um, sind nun ein Teil von mir, von dieser anderen neuen Frau. Und so widersprüchlich es klingt, meine größte Angst ist, dass ich dich verliere, dass ich meine Erinnerungen an dich und uns verliere. Genauso ist da ein Teil von mir, der hofft, dass ich eines Tages wach werde, und nur noch diese kalte, harte Frau bin, die ich jeden Tag spiele und Sarah für immer fort ist, zusammen mit dir. Du siehst, es geht mir nicht so gut, wie es den Anschein hat – ha. Ich trenne immer mehr zwischen Sarah und Lara und je mehr Zeit vergeht, desto weniger weiß ich, wo die eine aufhört und die andere beginnt. Und Ben, frag mich bloß nicht, wer ich bin. Ich weiß es nicht!
Ben,
was denkst du? Bleibt Liebe für immer? Bleibt Schmerz und Angst? Ich denke, ja. Seit sechseinhalb Monaten bist du fort, nein, ich muss es sagen, schreiben – tot – und ich bin Lara geworden. Wenn es ist, wie es ist und funktioniert, wieso fühlt sich dann alles falsch an?
Ben,
ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll. Ich fühle mich schuldig, aber ich will, dass Sarah geht und nur noch Lara übrig bleibt. Lara kann Leute berühren, sie sogar verprügeln, wenn es sein muss, wenn sie sich schützen muss. Aber Sarah denkt immer nur an dich, liegt nachts wach, möchte sich in ihrem Elend suhlen, von dir träumen und alles schlimmer machen. Als Lara könnte ich sogar Freunde haben, wenn ich es zulassen würde, aber Sarah will niemanden, will nur allein sein und von einem toten Mann träumen, der sie mal geliebt hat und der nicht wiederkommen will. Verzeih mir: wird! Für wen würdest du dich entscheiden, Ben? Du könntest Lara nicht lieben, da bin ich mir ziemlich sicher. Aber nach acht Monaten ist es vielleicht Zeit, aufzugeben. Jeder, der das hier liest und auch die anderen Briefe, zumindest die, die ich aufgehoben habe, weiß, dass es die Briefe einer Irren sind. Ich werde noch verrückt. Deine Sarah will nicht kapieren, dass du weg bist. Sie klammert sich an einen Geist, ist in Geister verliebt und verliert den Verstand. Wenn du wüsstest, was für merkwürdige und beängstigende Dinge sie manchmal tut, würdest du es auch für besser halten, wenn ich als Lara weitermache und Sarah einfach loslasse. Herrgott, Ben, ich liege nachts im Bett oder auf einem Tisch und bilde mir ein, deine Berührungen auf mir zu spüren, so lange, bis ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich nun etwas körperlich wahrgenommen habe oder nicht. Ich bin besessen von dir. Von unserer kurzen, tragischen Liebe oder einfach von den einzigen Erlebnissen mit einem Mann, die ich je hatte. Siehst du! So etwas hätte ich früher als Sarah nie gesagt. Aber Lara ist manchmal ein Miststück. Als wer auch immer, liebe ich dich noch. Nur hab ich das Gefühl, daran zugrunde zu gehen. Man kann doch nicht sein ganzes Leben lang jemanden lieben, der nicht mehr da ist und auch nie wieder da sein wird. Ich erinnere mich mit Schrecken an den ersten Monat zurück, in dem ich mich jede Nacht in den Schlaf weinen musste, mit einem lächerlich hilflosen »Bitte, komm zurück !« auf den Lippen. So darf ich nicht noch einmal abstürzen. Nie wieder. So schwach will, darf ich nie wieder sein. Schließlich muss ich das Versprechen, das ich gegeben habe, halten. Ich hatte dir still und heimlich versprochen, für dich weiterzuleben, damit du nicht umsonst gestorben bist. Im Moment tu ich das, was ich schon seit Monaten tue, ich überlebe, zu mehr bin ich nicht imstande. Vielleicht wird es auch immer so sein, doch so lange ich an Sarah, und an dem, was ich war und was sie für dich empfindet, derart hänge, werde ich immer wieder dem Wahnsinn und Schmerz verfallen.
Aber es gibt auch andere Probleme. Die Pillen waren ein Fehler, ich brauchte sie zu sehr und ohne sie waren es schwere, lange Nächte, die ich lernen musste, zu überstehen. Vielleicht muss ich wieder von hier weg, mir etwas suchen, wo ich fernab von Menschen bin. Vielleicht löst sich meine Stärke auch auf wie Rauch, wenn ich meine Fähigkeiten nicht mehr unter Kontrolle habe und sie mich kontrollieren wie früher. Dann werde ich wieder die unschuldige, hilflose Sarah sein, die kaum überleben kann, es nicht mal versucht, weil sie’s gar nicht will. Der Teil von mir, der noch Sarah ist, will immer noch sterben, einfach gehen und alles hinter sich lassen. Weglaufen! Zu dir!
Ben,
ich bin Lara. Hörst du? Ich bin Lara. Ich bin Lara.
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