Küss mich wie damals
sie kennen. Bitte setzen Sie mich am Covent Garden ab. Ich werde dort mit den Nachforschungen weitermachen.“
Marcus nahm nicht an, dass Mrs. Poole bettelte, doch da er keinen anderen Vorschlag zu machen hatte, fuhr er zum Platz neben St. Paul, hielt dort an und ließ Major Greenaway aussteigen. „Soll ich warten?“
„Nein, das ist nicht nötig. Fahren Sie zu Ihrer Tochter zurück, Euer Gnaden.“ Donald winkte ihm zu und verschwand in einer Gasse.
Marcus blieb noch einen Moment lang sitzen und starrte leeren Blicks auf den Markt. Eine einzelne Frau in London zu finden hatte etwas von der Suche nach einer Stecknadel in einem Heuhaufen. Er bezweifelte, dass sie erfolgreich sein würde.
Nach dem Frühstück beaufsichtigte Frances die Dienstboten, die im Haus Ordnung schafften, merkte indes bald, dass ihre Anwesenheit überflüssig war. Sie begab sich in ihr Atelier, nahm die von Lady Lavinia gemachten Skizzen und legte sie neben ihren Arbeitsplatz. Dann mischte sie Farben an, stellte eine leere Leinwand auf die Staffelei und begann so methodisch wie immer zu malen. Sie konnte sich jedoch nichts vormachen. Sie fühlte sich überhaupt nicht wohl. Ihre Hände zitterten, und das Herz schlug ihr ungewohnt schnell. Hätte sie am vergangenen Abend zu viel Champagner getrunken, wäre ihr Zustand erklärbar gewesen, doch sie hatte nicht übermäßig dem Alkohol zugesprochen. Ihr augenblickliches Befinden war einzig und allein auf den Duke of Loscoe zurückzuführen.
Es erboste sie immer noch, wenn sie an sein unerhörtes Benehmen dachte. Es war die Höhe, anzunehmen, sie warte nur darauf, dass er dort weitermachte, wo er vor siebzehn Jahren aufgehört hatte, und ihr guter Ruf sei ihr vollkommen gleich. Er mochte sich darüber hinwegsetzen, dass die Leute über ihn redeten, aber sie konnte das nicht tun. Sie hatte zehn Jahre der Ehe mit einem anständigen, wenngleich langweiligen Edelmann und etliche weitere als Witwe gebraucht, um sich einen tadellosen Leumund zu verschaffen.
Vielleicht wäre es damals nie zu dem Skandal gekommen, hätte ihre Mutter nicht, weil sie erwartete, dass Marcus sich Frances erklären werde, voreilig allen ihren Busenfreundinnen gegenüber unmissverständliche Andeutungen gemacht. Als dann Marcus’ Verlobung mit Miss Margaret Connaught in der Zeitung angekündigt worden war, hatte jeder sich denken können, dass Frances furchtbar enttäuscht sein musste. Einige Leute waren sogar so gehässig gewesen zu behaupten, das geschähe ihr recht, weil sie über ihrem Stand hatte heiraten wollen.
Nur ihr angeborener Selbstrespekt und ihr Stolz hatten es ihr ermöglicht, die bittere Erfahrung zu verkraften, das Beste aus ihrem Leben zu machen und allgemein dafür bekannt zu werden, dass nicht der Schatten eines Skandals ihren tadellosen Ruf trübte. Ihr konnte man Töchter aus gutem Haus anvertrauen, die sie im Malen und Zeichnen unterwies. Man wusste, dass sie diskret war und ihren Schülerinnen gegenüber genau den richtigen Ton anschlug. Kurzum, man kannte sie als jemand, der nie etwas falsch machte. Falls das Erscheinen des Duke of Loscoe etwas an ihrem Ansehen ändern sollte, würde sie ihm das nie verzeihen.
Sie fragte sich jedoch, ob sie ihm das, was vor siebzehn Jahren geschehen war, noch immer nicht verziehen hatte und ob all die Bemühungen, ihn zu vergessen, reine Zeitverschwendung gewesen waren. Sie überlegte, was er vorhaben mochte und was er zu erreichen versuchte. Wenn er sie aus der inneren Ruhe hatte bringen wollen, so war ihm das gelungen. Aber warum sollte er so rachsüchtig sein? Sie hatte ihm kein Unrecht angetan und war bereit gewesen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und höflich mit ihm umzugehen. Sie hatte sogar eingewilligt, seine Tochter zu unterrichten und deren Porträt zu malen. Das war eindeutig ein Fehler gewesen. Hätte sie sich jedoch geweigert, wäre Marcus nur in der Annahme bestärkt worden, dass sie noch immer etwas für ihn empfand. Aber das stimmte nicht. Das war einfach nicht wahr!
Sie betrachtete die Skizze, auf der Lady Lavinia lachend dargestellt war. Die Tochter sah dem Vater so ähnlich, dass Frances die Zeichnung nicht ansehen konnte, ohne an ihn zu denken. Lady Lavinias verschmitzt blickende Augen waren die genaue Kopie derjenigen, von denen sie vor siebzehn Jahren so liebevoll und glücklich angesehen worden war. Sie legte die Skizze auf den Tisch zurück und ging zu den Bildern, die sie verkehrt herum an die Wand gelehnt hatte. Sie zog das
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