Kuesse - heiß wie die Sonne Siziliens
vom Beifahrersitz nahm und dann voraus zu dem übergrünten Sitzplatz hinter dem Haus ging, wo sich auch die alte Feuerstelle befand.
Die Schachtel stellte er auf dem verwitterten Picknicktisch im Schatten eines alten Baumes ab. Danach goss er sprudelndes Wasser in echte Gläser. Keine Pappbecher für den sizilianischen Aristokraten.
Isabel nahm Platz und trank in großen Schlucken das gut gekühlte Getränk. „Köstlich“, murmelte sie. Dabei hatte sie Köstlichkeiten, die Dario gerade auspackte, noch nicht einmal probiert. Es gab gegrilltes Zitronenhähnchen, mariniert in Olivenöl und Rosmarin, in Würfel geschnittenen Provolone und frischen Mozzarella mit Basilikum. Kleine Tomaten lagen auf dem Tisch, die noch warm waren von der Gartensonne. Daneben stellte Dario eine Schüssel mit gegrillten süßen Paprika und ein Schälchen Pesto. Den Schluss bildete ein knuspriges Ciabatta-Brot, das noch ofenwarm duftete.
„Wo haben Sie das alles her?“, fragte Isabel und brach sich ein Stück Brot ab.
„Hier und dort. Neben dem Hofladen war ich noch in der Bäckerei und im Lebensmittelladen. Es lag alles auf meinem Weg.“
„Das wäre doch nicht nötig gewesen. Aber ich bin trotzdem froh. Ich habe nicht bemerkt, wie hungrig ich bin. Vielen Dank.“
Er saß ihr an dem schmalen Tisch gegenüber, doch sie vermochte seine Miene nicht zu deuten. Halb lag Neugierde in dem attraktiven Gesicht, halb wirkte er wie der Gutsherr, dessen Pflicht es war, die Bedürftigen zu nähren. Oder mästete er nur die Gans, bevor er sie zum Schlachter brachte? Ganz gewiss hat er nicht seine Meinung geändert, dachte Isabel. Er wünschte sie immer noch weit weg.
„Nachdem Sie Ihr Abendessen gestern mit mir geteilt haben, schulde ich Ihnen etwas.“
„Ach das“, murmelte sie, als hätte sie die Angelegenheit schon vergessen. Als ob sie auch nur einen Moment des gestrigen Abends hätte vergessen können. Nachdem er gegangen war, hatte sie im Bett gelegen und sich die Szene immer wieder vergegenwärtigt. Was war ihm wohl durch den Kopf gegangen? Sie wusste, was sie gedacht hatte. Sie wollte, dass er sie küsste. Nur um herauszufinden, wie es sich anfühlte, von einem sizilianischen Macho geküsst zu werden. Mehr nicht. Heute am hellen Tag war sie wieder bei Verstand und froh, dass es nicht dazu gekommen war. Zu ihrer ohnehin schwierigen Situation brauchte sie nicht noch zusätzliche Komplikationen.
„Ja, das. Entschuldigen Sie, dass ich einfach so hereingeplatzt bin.“
Sie zuckte mit den Schultern. Was sollte sie darauf sagen? Selbst Ihre Gesellschaft war mir lieber als gar keine? Ich habe eine Seite an Ihnen entdeckt, die mich überrascht hat? Dass Sie sich so sehr einer Frau hingegeben haben, das Sie Ihre Arbeit vernachlässigten. Sie muss eine besondere Frau gewesen sein. Warum denke ich in der Vergangenheitsform an sie? Wahrscheinlich sitzt sie im Torhaus und wartet mit offenen Armen auf Sie.
„Wo essen Sie normalerweise mittags?“, fragte sie beiläufig und nahm einen Schluck vom kühlen Weißwein, den er ihr eingeschenkt hatte.
„Manchmal mit den Arbeitern auf dem Feld“, sagte er. „Oder ich fahre nach Hause.“
„Und Sie essen mit Ihrer Familie?“ Isabel hielt den Atem an, während sie auf die Antwort wartete.
„Nein.“
Was hieß das? Einfach nein?
„Meine Familie macht jeden Tag so ein Theater um das Essen. Egal, wie viel Arbeit draußen wartet. Sie wollen plaudern. Meine Schwestern lieben es, in meinem Privatleben herumzuschnüffeln und kluge Ratschläge zu geben. So etwas wie eine Intimsphäre gibt es in Sizilien nicht. Aber ich habe keine Zeit für diese familiären Zusammenkünfte.“
„Ich bin sehr dankbar, dass Sie Zeit für mich haben, das muss ich sagen. Ich war hungrig und neidisch auf das Mittagessen der Arbeiter. Als Sie eben hier aufgetaucht sind, habe ich mir gerade ehrlich leidgetan. Alles schmeckt ganz wunderbar. Köstlich.“ Mit einer Gabel spießte sie ein Stück reifer, saftiger Melone auf. „Wie sieht es heute Abend aus? Da können Sie sich wohl nicht drücken und sind genötigt, sich beim Abendessen mit Ihrer Familie zu unterhalten.“
„Meine Großmutter erwartet Ihretwegen, dass ich dabei bin. Und niemand widerspricht Nonna.“
Also war es nicht sein Wunsch. Er folgte nur den Anweisungen seiner Familie.
„Vielleicht hätte ich Ihrer Großmutter besser nicht helfen sollen.“
„Ein Abendessen mit meiner Familie ist ein kulturelles Ereignis, das Sie nicht versäumen sollten.
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