Küsse im Mondschein
winkte Amanda mit ihrem Gehstock zu sich her. »Ich möchte mich mal mit dir unterhalten.«
Martin dicht an ihrer Seite, schritt Amanda auf Lady Osbaldestone zu.
»Setz dich.« Sie deutete auf den Sessel neben sich. Dann schaute sie zu Martin hoch und lächelte ihn an - es war ein geradezu hinterhältiges Lächeln. » Ihr dagegen dürft mir unterdessen ein Gläschen Orangenlikör holen und für Miss Cynster ein Glas Wasser. Dafür wird sie Euch später noch dankbar sein.«
Sich einer Bitte von Lady Osbaldestone zu widersetzen war schlichtweg undenkbar. Martin nahm ihren Befehl also gelassen entgegen, verbeugte sich und strebte in Richtung jenes Raumes davon, in dem die Erfrischungen angeboten wurden.
»Schön zu sehen, dass ich wohl richtig geraten habe.« Lady Osbaldestone hatte sich zu Amanda umgewandt und musterte sie aufmerksam. »Und? Hast du dich nun entschieden?«
Amanda seufzte, während sie in die schwarzen, geradezu bodenlosen Augen ihres Gegenübers blickte. »Ich habe mich entschieden - und das hat er offensichtlich auch - aber …«
»Nach meiner Erfahrung gibt es fast immer ein ›Aber‹. Was also ist es in diesem Fall? Und, um Himmels willen, bitte fass dich kurz - Lord Dexter wird nicht ewig fortbleiben.«
Amanda atmete einmal tief durch. »Genau genommen gibt es zwei ›Aber‹. Das erste wäre, dass ich nicht daran zweifle, dass er mich liebt - denn soweit man so etwas überhaupt mit Sicherheit behaupten kann, liebt er mich durchaus -, sondern ich frage mich, ob auch er das weiß. Das zweite ›Aber‹ dagegen ist schon ein etwas ernsteres Problem; es dürfte eine schwieriger zu überwindende Hürde sein. Denn es gibt da noch immer diesen alten Skandal. Ich weiß, die Gesellschaft wird da sicherlich schon irgendwie drüber hinwegsehen - aber meine Familie wird diese Geschichte, so vermute ich zumindest, nicht so einfach übergehen.«
Lady Osbaldestone nickte. »Damit liegst du wohl richtig. Deine Familie wird nicht so einfach über diese alte Sache hinwegsehen. Das darfst du mir getrost glauben. Allerdings irrst du dich, wenn du meinst, das erste Problem wöge nicht so schwer wie das letzte.« Sie sah Amanda fest in die Augen und lehnte sich zu ihr hinüber. »Hör mir zu, und hör mir wirklich gut zu. Denn du hast in der Tat vollkommen Recht, wenn du auf deinem Standpunkt beharrst und darauf bestehst, dass er sich dir erklärt, dass er dir zumindest unter vier Augen gesteht, dass er dich wirklich liebt. Ich gehe mal davon aus, dass es das war, worum es sich in dieser Woche hauptsächlich drehte? Dass er dir nur deshalb zurück in die Londoner Gesellschaft gefolgt ist, um dich dazu zu drängen, ihm endlich deine Hand zu gewähren?«
Amanda nickte. »Ganz genau.«
»Immerhin ein gutes Zeichen. Aber was immer du auch tust, lass nicht von deinem Standpunkt ab . Lass dich durch nichts, nicht durch ihn und auch nicht durch irgendetwas anderes, von deinem Ziel abbringen.«
Damit blickte Ihre Ladyschaft auf; Amanda folgte Lady Osbaldestones Blick und sah, wie Martin sich einen Weg zurück durch die Menge in ihre Richtung bahnte.
Rasch fügte die alte Dame noch ein paar Worte hinzu. »Und was diesen Skandal angeht, da darfst du meiner guten Meinung über Lord Dexter und dessen Familie ruhig unbesorgt vertrauen. Wirklich gelöst wird dieser Skandal allerdings erst, wenn auch er das will. Im Moment wäre es ihm sicherlich noch am liebsten, wenn er diese alte Geschichte einfach ruhen lassen könnte - und es gibt zweifellos eine Menge Gründe, die dafür sprächen, nicht mehr daran zu rühren. Andererseits gibt es da eine gewisse Sache, die ihm wohl noch mehr am Herzen liegt als seine Ruhe.«
Martin kam unaufhaltsam näher. Wieder blickte Lady Osbaldestone Amanda eindringlich aus ihren obsidianschwarzen Augen an. »Du konntest mir doch wohl hoffentlich folgen, Mädchen?« Sie schloss ihre klauenartige Hand um Amandas Handgelenk. »Meiner Ansicht gibt es und wird es auch in Zukunft nur eine einzige Sache geben, die ihm so wichtig ist, dass er dafür seinen Namen wieder reinwaschen würde.«
Damit lehnte sie sich wieder zurück, lächelte und nahm ihr Gläschen Orangenlikör entgegen. Martin blickte erst Lady Osbaldestone an und dann Amanda; er reichte ihr das Glas Wasser, das er natürlich ebenfalls mitgebracht hatte.
Amanda nahm das Glas mit einem geistesabwesenden Nicken entgegen und leerte es in einem Zug.
14
Im Laufe der folgenden Tage und Abende hatte Amanda immer mehr den Eindruck, als
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