Küsse im Mondschein
herausgelockt. Aber dafür gab es für ihn nun auch nur noch ein Ziel.
Und er war fest entschlossen, dieses Ziel zu erreichen. Je mehr Tage verstrichen, desto klarer wurden seine Absichten. Mit jedem neuen Morgen traf ein neues Sträußchen aus drei weißen Orchideen ein. Überall, wohin Amanda ging, war auch Martin und wartete bereits auf sie.
Wartete darauf, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, ihre Hand zu ergreifen, den ersten Walzer mit ihr zu tanzen und - sofern dieser gespielt wurde - auch noch den Abschlusswalzer. Und ganz gleich, um welche Art von Empfang es sich auch handeln mochte, so blieb er doch stets die ganze Zeit über beharrlich an ihrer Seite und ließ sich durch überhaupt nichts von ihr fortlocken. Die kleinen Nettigkeiten, die er ihr unterdessen zukommen ließ, waren allerdings wohl bemessen und nur im Rahmen dessen, was nach allgemeinem Urteil noch als anständig galt. Was diejenigen, die Amanda und Martin beobachteten, jedoch nicht sehen konnten, das war die Sinnlichkeit, die in jedem seiner Blicke lag, die jede seiner Berührungen erfüllte. Und sie sahen auch nicht das Netz, das er wob, das er Masche für Masche enger um Amanda zusammenzog. Amanda selbst war sich dessen zwar durchaus bewusst, konnte allerdings nichts tun, um ihn daran zu hindern, konnte die Macht, die er bereits über ihr Herz und ihr Denken gewonnen hatte, nicht verleugnen.
Im Übrigen stimmte es: Er hatte ganz zweifellos die Spielregeln geändert. Keiner von ihnen beiden versuchte mehr, so zu tun, als ob das Verlangen nicht unmittelbar unter ihrer Haut brannte, als ob es nicht nur darauf wartete, endlich die Flammen der Leidenschaft entzünden zu dürfen. Und beide waren sich vollauf bewusst, dass sie am liebsten wieder allein miteinander wären, vor dem Kaminfeuer in seiner Bibliothek oder irgendwo anders, statt auf dieser Unzahl von Bällen zu tanzen. Doch sein Ziel war nichts Geringeres als ihre Unterwerfung, ihre Zustimmung, ihn endlich zu heiraten, und zwar als jenen Mann, der er jetzt war. Er wollte, dass sie ihn als den akzeptierte, als der er sich ihr zeigte. Er wünschte sich, dass sie endlich ihre Hand in die seine legte, dass sie sich ihm bedingungslos hingab, ohne noch irgendwelche weiteren Eingeständnisse von ihm zu fordern. Denn es stimmte zwar, dass er ihre gemeinsame Kampfarena nun mitten in das gesellschaftliche Treiben von London hineinverlegt hatte, und es stimmte auch, dass er die Regeln dahingehend geändert hatte - dass sie nun nur noch nach jenen Vorgaben spielten, nach denen auch die besagte bessere Gesellschaft spielte. Das Ziel aber, das er erreichen wollte, das hatte sich nicht geändert.
Tag für Tag, Abend für Abend, fuhr er damit fort, Amanda zu verfolgen. Er folgte ihr durch die Ballsäle hindurch, durch die Salons, in die Oper und in den Park. Niemals, nicht ein einziges Mal, übertrat er dabei die imaginäre Grenze des Schicklichen, und dennoch ließ er nicht davon ab, Amanda immer mehr abzugrenzen. Und zwar in dem Sinne, dass er nicht nur vage andeutete, Amanda wäre ihm womöglich lieber als die anderen Damen, nein, Martin vermittelte ganz gezielt den Eindruck, dass die anderen ihm vollkommen egal waren. Keine außer Amanda konnte seine Aufmerksamkeit erregen; das hatte Martin unverschämt deutlich herausgestellt.
Zu Amandas Erstaunen, zu ihrer Verwunderung und nicht zuletzt zu ihrer stetig wachsenden Besorgnis schien Martin also in der Lage zu sein, die Regeln der Gesellschaft zu seinem ganz persönlichen Vorteil zu verdrehen. Und nicht bloß zu seinem Vorteil, sie spielten ihm auch noch geradezu in die Hände. Niemals hätte sie gedacht, dass er sie auf diesem Spielfeld - einer Arena, in der sie immerhin schon wesentlich mehr Erfahrungen hatte sammeln dürfen als er - würde übertrumpfen können.
Und doch sah es ganz danach aus, als ob er gewänne.
Sogar die Gastgeberinnen dieser Saison schienen sich mit ihm verbündet zu haben, schienen sich auf seine Seite zu schlagen.
Amanda wollte ihren Ohren kaum trauen, als sie auf dem Ball der Castlereaghs zufällig mitbekam, wie Emily Cowper sich betont freundlich kurz zu Martin hinüberlehnte, bevor sie weiterschritt, und dabei murmelte: »Eine exzellente Wahl, mein Junge - sie wird Euch eine ganz wunderbare Gräfin sein.«
In diesem Augenblick konnte Amanda sich nur noch hilflos umschauen; sie nahm schon gar nicht mehr wahr, was Mr. Cole ihr da gerade für eine Geschichte erzählte, sondern sah bloß noch, wie Martin leicht lächelnd
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