Küsse im Mondschein
Reggies erbitterter Flüche daranmachte, den Verband um seinen Kopf abzuwickeln und seine Verletzung freizulegen.
Die Schusswunde - offen, rot und entzündet - war alles andere als ein schöner Anblick. Martin warf einen prüfenden Blick in Amandas Gesicht, doch die plapperte unablässig weiter, plauderte in heiterem Ton über irgendwelche belanglosen Dinge, während sie die Kopfwunde vorsichtig mit einem Schwamm auswusch und dann ebenso vorsichtig trockentupfte. Noch nicht einmal, als Reggie die Muskeln anspannte und schmerzgepeinigt zusammenzuckte, verstummte ihr Geplapper. Dann sah Martin den Blick, den sie Reggie zuwarf, als dieser gerade nicht hinschaute, und da wurde ihm klar, dass ihre Munterkeit bloß aufgesetzt war, damit Reggie nicht merkte, wie sehr sie in Wahrheit wegen der Wunde beunruhigt war. Sobald sie mit dem Säubern fertig war, nahm er, Martin, ihren Platz an Reggies Seite ein und legte geschickt einen neuen Verband an, indem er ein frisches Schutzpolster auf die Wunde legte und dieses dann mit Hilfe einer langen Bandage befestigte, die er mehrfach um Reggies Kopf wickelte.
Die Strapazen des Aus- und Ankleidens und des Verbandwechsels hatten doch sehr an Reggies Kraft gezehrt. Als sie ihn vorsichtig wieder auf die Kissen zurücklegten, damit er sich ausruhen konnte, war er bleicher denn je zuvor.
Martin zögerte einen Moment, als er sah, welchen Kampf Reggie ausfocht, um seine Augen daran zu hindern, vor Erschöpfung zuzufallen, doch dann fragte er: »Erinnert Ihr Euch noch daran, wie das Ganze passiert ist?«
Reggie legte nachdenklich die Stirn in Falten, was in Anbetracht seines Kopfverbandes ausgesprochen komisch anzusehen war. »Wir fuhren um die Kurve herum, und Onslow zügelte die Pferde - ich hatte ihn angewiesen, gleich hinter der Wegbiegung anzuhalten und zu warten. Und dann fiel plötzlich ein Schuss. Im nächsten Moment hörte ich Onslow laut aufschreien, dann eine Art dumpfen Aufprall. Ich beugte mich zum Fenster hinaus, um zu sehen, was passiert war. Und da sah ich diesen Burschen auf seinem Pferd. Und bevor ich überhaupt wusste, wie mir geschah, spürte ich plötzlich diesen scharfen, brennenden Schmerz, der pfeilschnell über meinen Schädel schoss - und dann hörte ich den Knall.« Der grüblerische Ausdruck auf seinem Gesicht verstärkte sich noch ein wenig. »An mehr kann ich mich allerdings nicht mehr erinnern.«
»Danach ist ja auch nicht mehr viel passiert. Wir hörten die Schüsse und kamen angerannt, aber da war der Reiter schon wieder verschwunden. Habt Ihr einen genauen Blick auf ihn werfen können?«
Reggie sah auf, betrachtete eingehend Martins Gesicht, dann schüttelte er den Kopf. »Das ist ja das Verrückteste an der ganzen Sache. Ich weiß nicht, ob mir mein Verstand einen Streich spielt, oder was.«
»Warum? Was meinst du?«, wollte Amanda wissen.
»Der Himmel war bewölkt, wie ihr euch vielleicht noch erinnert, aber genau in dem Moment kam der Mond zwischen den Wolken hervor, und sein Licht fiel direkt auf ihn - den Kerl auf dem Pferd, meine ich -, und so weit entfernt war er ja nun wirklich nicht. Ich habe ihn also tatsächlich recht deutlich gesehen. Glaube ich jedenfalls. Andererseits könnte es natürlich auch so gewesen sein, dass es bloß eine Sinnestäuschung war, dass das Mondlicht meinen Augen einen Streich spielte.«
»Wieso seid Ihr Euch so unsicher?«
Reggie schaute wieder zu Martin auf. »Weil... das Verteufelte an der Sache ist, dass der Kerl genauso aussah wie Ihr.«
Schweigen. Dann erklärte Amanda: »Aber das ist doch völlig unmöglich! Martin kann es doch gar nicht gewesen sein - allein schon deshalb nicht, weil er doch bei mir war, als wir die Schüsse hörten.«
»Ich weiß , dass das unmöglich ist!« Unruhig und aufgebracht zupfte Reggie an der Bettdecke herum. »Aber er hat mich gefragt, was ich gesehen hätte - tja, und das ist nun einmal genau das, was ich gesehen habe. Ich weiß durchaus, dass es nicht er war, abgesehen davon habe ich das ja auch nie behauptet. Es ist einfach nur so, wie ich schon sagte - der Mann sah genauso aus wie er.«
Amanda lehnte sich zurück, so als ob sie erst einmal einen Moment nachdenken und ihre Argumente neu ordnen müsste. Martin zog sie am Ärmel. »Wir überlassen Euch jetzt besser erst einmal Eurer wohlverdienten Ruhe. Schlaft einfach und kommt wieder zu Kräften. Wir lassen die Tür einen Spalt offen. Wenn Ihr irgendwelche Wünsche habt oder etwas braucht, dann klingelt einfach.«
Reggie -
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