Küsse im Mondschein
Schande von Haus und Hof verjagt und in die Verbannung geschickt. Ohne Gerechtigkeit, ohne Zuflucht. Ein Schicksal, wie sie es sich für sich selbst noch nicht einmal vorstellen konnte; bei dem bloßen Gedanken daran, was Martin damals hatte durchmachen müssen, wurde ihr ganz weh ums Herz vor Mitleid mit ihm.
Sie stellte die Frage, die sich ihr schon die ganze Zeit über aufgedrängt hatte: »Und was war mit deiner Mutter, wie hat sie damals reagiert?«
»Ach - Mama. Sie war die Einzige in der ganzen Familie, die Verständnis für mein Wesen - meinen Jähzorn, mein Temperament, oder wie man es auch immer nennen will - hatte. Weil sie selbst nämlich auch so veranlagt war.« Martin hob den Kopf, starrte für einen Moment auf den Garten. Dann wurden seine Augen ganz schmal, als er im Geiste wieder die Vergangenheit vor sich sah. »Mama war sich nicht sicher. Sie wusste, ich hätte es getan haben können , aber... sie glaubte mir ebenso wenig wie die anderen, als ich schwor, dass ich unschuldig war. Wenn wenigstens sie mir geglaubt hätte...«
Als er nach einem langen Moment des Schweigens wieder zu sprechen fortfuhr, hatte seine Stimme plötzlich einen härteren Klang: »Nun ja, aber was geschehen ist, ist geschehen, und die Vergangenheit liegt nun hinter uns.«
Die Veränderung in seiner Stimme bildete einen deutlichen Gegensatz zu seinem vorherigen Ton und enthüllte die eigentliche Wahrheit. »Du hast sie geliebt, nicht wahr?« fragte Amanda leise.
Als Martin antwortete, sah er jedoch nicht sie an, sondern starrte auf das Haus. »Ja.« Nach einem kurzen Augenblick fügte er hinzu: »Alle beide.«
Mehr sagte er nicht, doch Amanda hatte nun schon ein ziemlich klares Bild von der ganzen Sache bekommen. Am Morgen hatte sie das Bettzeug, das sie kurzerhand aus dem Boudoir der Gräfin entwendet hatten, wieder dorthin zurückgebracht. Dieser Raum hatte ihr einiges über Martins Hintergrund verraten; doch im Zimmer des Grafen, das dahinter lag, fanden sich ebenfalls Anklänge an die Wesenszüge, die auch in Martin lebten.
Den Blick noch immer auf das Haus geheftet, erwachte Martin schließlich wieder aus seiner Gedankenverlorenheit. »Wenn wir verheiratet sind, werden wir aber auf keinen Fall hier leben.«
Er sagte dies so ohne jedes Wenn und Aber oder Vielleicht, als ob ihre Heirat längst beschlossene Sache wäre. Amanda wollte schon automatisch protestieren, war bereits drauf und dran, die Vorbehalte zu äußern, die ihr auf der Zunge lagen, ließ sie dann aber doch unausgesprochen. Es war wohl eine Fügung des Schicksals gewesen, dass es sie ausgerechnet hierher verschlagen hatte. Aber hier waren sie nun - in einem unbewohnten Haus und ohne auch nur eine Haushälterin zu haben, die sie bei der Arbeit hätte unterstützen können. Die Zeit für Spielchen war also endgültig vorbei. Stattdessen war es nun allmählich an der Zeit, dass sie, Amanda, endlich zu einer Entscheidung kam. Obgleich noch immer von einer gewissen Unsicherheit erfüllt, atmete Amanda einmal tief durch und fragte: »Aber warum denn nicht?«
Martin sah sie nur wortlos von der Seite an.
Sie betrachtete erneut das Haus. »Man müsste es wieder ordentlich herrichten, hier und da ein bisschen aufpolieren - na ja, oder vielleicht müsste auch noch etwas mehr daran gemacht werden, und ich habe ja auch noch nicht alles von dem Gebäude gesehen, aber trotzdem...« Sie legte den Kopf auf die Seite und betrachtete die Fassade aus leicht getöntem Stein, das sich steil abwärts neigende Dach. »Aus dem Gemäuer lässt sich eine ganze Menge machen, denn es hat im Grunde alles das, was zu einem schönen Haus dazugehört - es fehlen eigentlich nur noch die Menschen, die es wieder mit Leben erfüllen. Die Bauart ist wirklich beeindruckend - einerseits würdevoll-vornehm, andererseits von einem unleugbaren Charme. Mir gefallen die hohen Fenster und die Aufteilung der Räume und...« Amanda zögerte einen Moment, dann machte sie eine impulsive Geste mit weit ausgebreiteten Armen. »Es ist ganz einfach ideal. Dies ist eine wunderschöne, ausgesprochen malerische Gegend, und das Haus fügt sich irgendwie wie selbstverständlich in den landschaftlichen Rahmen ein, ist ein wesentlicher Bestandteil des Ganzen. Es gehört schlicht und einfach dazu.«
Martin lehnte sich an die gusseiserne Rückenlehne der Bank zurück, seinen Blick noch immer auf Amandas Gesicht gerichtet. »Ich dachte, du wärst eine eingefleischte Londonerin?«
»Nun ja, ich habe immerhin den
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