Küsse im Mondschein
langen Raum drängten, war zwischenzeitlich noch größer geworden, sodass es so gut wie unmöglich war, sich nebeneinander einen Weg durch die Menge zu bahnen.
Nach einem Moment drang von vorn Amandas Stimme an sein Ohr. »Nachdem ich Euch gerade eben vor Miss Korsinsky gerettet habe, kann ich Euch vielleicht dazu bewegen, mir nun ebenfalls behilflich zu sein.«
Jetzt kam gleich der Augenblick, in dem sie ihn bitten würde, mit ihr um Mitternacht in Richmond Park herumzukutschieren. »In welcher Angelegenheit benötigt Ihr Hilfe?«, fragte Martin.
Sie warf ihm einen kurzen Blick über ihre Schulter zu und lächelte leicht. »In der Frage der Entscheidung, welchen Gentleman ich bitten sollte, mich auf meiner Suche nach aufregender Kurzweil zu begleiten.«
Sie schaute wieder nach vorn, und wieder blieb ihm nichts anderes übrig, als auf ihren Hinterkopf voller goldblonder Locken zu starren; wieder kam er nicht umhin, sich zu fragen, was sie bloß an sich hatte, dass es eine solche Flut von Regungen und Impulsen in ihm wachrief. Impulse, die stärker, wilder und unendlich viel gefährlicher waren als alles, was Amanda auf ihren heimlichen Ausflügen zu erleben hoffte.
Und sie war der Dreh- und Angelpunkt dieser Impulse.
Mit grimmig vorgeschobenem Kinn schlich er hinter ihr her, froh darüber, dass sie den Ausdruck auf seinem Gesicht, in seinen Augen nicht sehen konnte. Schritt für Schritt schoben sie sich im Zickzackkurs durch die Menge; Martin blieb immer dicht hinter Amanda, nicht gewillt zuzulassen, dass sie sich weiter als zwanzig Zentimeter von ihm entfernte, während er seine Dämonen niederzuringen versuchte. Denn Amanda, davon war er fest überzeugt, hatte keineswegs die Absicht, irgendeinen anderen Gentleman zu bitten, sie zu begleiten - sie hatte es nur darauf angelegt, ihn, Martin, zu quälen.
Gelegentlich blieb sie für einen Moment stehen, um den einen oder anderen Bekannten zu grüßen und ein paar Worte zu wechseln, und sie war sich dabei nur zu deutlich Dexters bewusst, der ihr auf Schritt und Tritt wie ein Schatten folgte, war sich nur zu deutlich bewusst, dass er zwar jede Begrüßung höflich erwiderte, im Übrigen aber kein Wort sagte. Sie konnte seine Hitze spüren, seine Kraft, ähnlich wie einen tropischen Sturm, der sich drohend am Himmel zusammenbraute. Mit einem selbstbewussten Lächeln fuhr sie fort, nach der richtigen Art von Provokation zu suchen, um den Sturm endlich zu entfesseln.
Und dann entdeckte sie Lord Cranbourne. Seine Lordschaft war eine ausnehmend elegante Erscheinung, distinguiert, gewandt, selbstsicher, auf ungezwungene Art liebenswürdig. Mit anderen Worten: perfekt.
Sie blieb ganz unvermittelt stehen und zwang sich, nicht zu reagieren, als Dexter denn auch prompt gegen sie prallte. Erst als er wieder einen Schritt zurückwich, legte sie ihm, ohne ihn anzuschauen, eine Hand auf den Arm. »Lord Cranbourne«, murmelte sie vor sich hin. Sie spürte eher, als dass sie sah, wie Dexter ihrem Blick folgte. »Also, ich denke, der wäre wirklich der geeignete Kandidat, mich nach Richmond zu kutschieren. Er ist ein brillanter Unterhalter, und seine Grauschimmel sind einfach prachtvoll.«
Sie setzte ihr schönstes Lächeln auf, ließ Dexters Arm los und strebte entschlossen vorwärts, den Blick fest auf Lord Cranbourne geheftet.
Sie war gerade mal zwei Schritte weit gekommen, als sich ganz plötzlich harte Finger wie Handschellen um ihr Handgelenk schlossen.
»Nein!«
Das gedämpfte Knurren, das diesem einen Wort vorangegangen war, brachte Amanda beinahe zum Grinsen. Sie wandte sich zu Dexter um, ihre Augen groß vor unschuldigem Erstaunen. »Nein?«
Zornig reckte er das Kinn vor, und an seinem Kiefer zuckte ein Muskel. Er starrte ihr in die Augen, durchdringend, forschend …
Dann blickte er ganz plötzlich auf, über ihren Kopf hinweg, über die Menschenmenge hinweg. Er öffnete die Finger, löste seinen Griff um ihr Handgelenk und umschloss stattdessen ihre Hand. »Kommt mit!«
Amanda unterdrückte ein triumphierendes Grinsen, als Dexter sie zum anderen Ende des Saales zog. Sie nahm an, dass er dort stehen bleiben wollte. Doch stattdessen stieß er eine der dortigen Türen auf - sie war nur leicht angelehnt gewesen -, trat hindurch und zerrte Amanda regelrecht hinter sich her in eine lange Galerie hinein, die parallel zur Längswand des Ballsaals verlief. Die Galerie war nur schmal; die Wand, die sie mit dem Ballsaal teilte, wurde von drei zweiflügeligen Türen
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