Küsse im Morgenlicht
Dann ließ er seinen Blick weiterwandern, über ihre schmale Taille, über ihre wohl geformten Hüften und schließlich an der schlanken Silhouette ihrer Oberschenkel entlang.
Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen. Unter dem Saum ihres Kleides schauten ihre nackten Zehen, ihre nackten Füße hervor. Luc betrachtete sie eingehend, studierte ihre anmutige Form, die perlrosa Nägel. Er beugte sich hinab, wollte sie berühren, zog sich dann aber wieder zurück.
Denn wenn er sie jetzt weckte, so, wie sie nun vor ihm lag... was würde dann geschehen?
Zu einem gepflegten Gespräch jedenfalls würden sie sich nicht zusammensetzen. Nein, dazu kannte er sich zu gut; obwohl genau so ein Gespräch ja angeblich sein Ziel gewesen war. Im Übrigen würde sie sich doch gewiss wundern - sie, die ihn fast schon in- und auswendig kannte -, wenn er nun mit einem Mal seine Taktik änderte.
Luc sah sich um und entdeckte den Stuhl, der vor der Frisierkommode stand. Er trat leise von Amelias Bett fort, setzte sich, lehnte sich entspannt zurück und stützte die Schultern gegen die Kommode. Ruhig blickte er Amelia an, während er abermals über die schier zahllosen Fragen nachgrübelte, die ihn quälten, seit er dieses Zimmer das letzte Mal betreten hatte.
Seit er Amelia zu der seinen gemacht und erkannt hatte, dass hinter ihrem Verlangen nach ihm noch viel mehr steckte als bloße Wollust; mehr als bloße sinnliche Begierde und Leidenschaft.
Nur leider wusste er nicht, wie er diese mächtige und doch so schwer fassbare Emotion nun definieren sollte, die sich durch sein Verlangen und, ja, sogar durch sein ganzes Wesen geschlängelt hatte und ihn jetzt mit ihren Fangarmen umklammert hielt. Sein Cousin Martin hingegen, so vermutete Luc zumindest, könnte diesem eigenartigen Gefühl sicherlich durchaus einen Namen geben und war Luc damit schon einmal einen großen Schritt voraus. Doch Luc hatte ganz einfach nie an dieses Gefühl geglaubt, von dem die Dichter so gerne schwärmten. Er hätte nie gedacht, dass dieser wahre Strudel an Emotionen tatsächlich existierte... oder zumindest nicht in seinem Leben. Er hatte es schlichtweg nie zuvor gespürt, dieses Gefühl.
Und dennoch hatte es ihn nun gepackt - oder zumindest etwas sehr Ähnliches. Und das war eine höchst beunruhigende, höchst unbehagliche Erfahrung für ihn. Hätte man ihm die Wahl gelassen, dann hätte er sich gegen dieses Gefühl entschieden, hätte die Gelegenheit, es nun auch endlich einmal am eigenen Leib erfahren zu dürfen, ausgeschlagen. Es war ihm ein unlösbares Rätsel, warum Männer, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte waren, diesem emotionalen Rausch, der sich da vor Lucs Augen unaufhaltsam zusammenzubrauen schien, ohne die geringste Gegenwehr und auch noch freiwillig die Pforten öffneten.
Was war, wenn Amelia ihn durchschaute, wenn sie begriff, dass... Was war, wenn sie erkannte, dass es in Wahrheit gar nichts gab, worüber Luc sich mit ihr hatte unterhalten wollen, sondern dass er dieses angeblich so dringende Gespräch nur als Vorwand benutzt hatte? Als Vorwand, als fadenscheinige Erklärung, um zu rechtfertigen, weshalb es ihn dermaßen aus der Fassung gebracht hatte, als er nach dem Frühstück für einige erschreckende Augenblicke lang nicht wusste, wo sie war. Denn es hatte ihn wahrlich erschüttert, festzustellen, dass Amelia ihm augenscheinlich nicht halb so viel Aufmerksamkeit schenkte wie er ihr - er für seinen Teil war nämlich bereits regelrecht besessen von ihr. Diese ganze Geschichte von dem wichtigen Gespräch, das sie führen müssten, war bloß eine Lüge gewesen, um seine barsche Reaktion zu erklären, mit der er Amelia nach deren Spaziergang empfangen hatte. Was also, wenn Amelia dies nun alles durchschaut hatte?
Er ließ den Blick zu ihrem Gesicht emporwandern, zu den zarten Konturen, die im Schlaf so friedlich und entspannt wirkten. Hatte sie die Emotionen, die er für sie im Geheimen hegte, etwa schon erkannt?
Luc rief sich noch einmal ihr kurzes Streitgespräch auf der Terrasse in Erinnerung. Amelia hatte auf seinen Zornesausbruch durchaus gleichsam heftig reagiert.
Im Übrigen war dieser Zornesausbruch vollkommen unlogisch gewesen und bestätigte nur noch einmal Lucs Vermutung, dass sich da in seinem Inneren bereits sehr starke Empfindungen für Amelia aufgebaut hatten. Und genau diesen Empfindungen misstraute er jetzt, da er ihre verheerende Wirkung auf seine Selbstbeherrschung kannte, nur noch umso mehr.
In jedem Fall aber hatte
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