Küsse im Morgenlicht
kleinen Expedition zu sagen. Warum, zur Hölle noch mal, hast du mir nicht Bescheid gesagt, bevor du dich davongemacht hast?«
Amelia erwiderte seinen Blick. »Warum sollte ich…?« Das »... du bist schließlich nicht mein Aufpasser!« ließ sie klugerweise ungesagt.
Doch Luc hatte es offenbar dennoch erahnt. Er biss die Kiefer fest aufeinander. Amelia stand ein klein wenig zu weit von ihm entfernt, als dass sie sich wirklich hätte sicher sein können, aber sie glaubte, dass seine mitternachtsblauen Augen mit einem Mal regelrecht schwarz geworden waren. Sie verdunkelten sich, wenn er wütend war, und auch dann, wenn …
»Ich wollte mit dir sprechen.« Er sprach die Worte sehr ruhig aus. Sein Tonfall aber verriet, dass in seinem Inneren ein gewaltiger Zorn tobte, den er nur mit größter Anstrengung noch zurückhalten konnte.
Amelia hob die Brauen. »Worüber denn?« Die Nase hoch erhoben, schlenderte sie die Terrasse entlang.
Luc schnitt ihr den Weg ab. »Tja, ich hätte gedacht -«
In diesem Moment ertönte der Gong zum Mittagessen. Mit einem knapp unterdrückten Fluch und böse funkelndem Blick schaute Luc erst zum Haus hinüber und sah dann wieder Amelia an. »Es gibt da ein oder zwei Punkte, die ich gerne noch einmal mit dir geklärt hätte. Also, nach dem Mittagessen. Und wehe , du verschwindest einfach wieder.«
Amelia war ganz und gar nicht in der Stimmung, sich irgendwelche Befehle erteilen zu lassen. Doch sie sah ihn einfach nur aus unschuldig großen Augen an und trat vorsichtig um ihn herum, sodass er nicht mehr länger zwischen ihr und dem Haupthaus stand. Dann zuckte sie kurz mit den Schultern und erwiderte: »Wenn du unbedingt willst.«
Dann, schwungvoll ihre Röcke raffend, wandte sie sich von ihm ab.
Plötzlich aber schloss Luc seine Finger um ihr Handgelenk. Er bewegte sich nicht und sagte auch nichts, sondern hielt sie einfach nur fest und wartete darauf, dass sie sich wieder zu ihm umwandte.
Es dauerte ein kleines Weilchen, ehe sie sich seinem Willen beugte. Allerdings wallte nun auch in Amelia langsam der Zorn auf - Zorn und noch etwas anderes, das konnte sie deutlich spüren - und gärte knapp unter ihrer Hautoberfläche.
Aus ihren Augen schienen geradezu die Funken zu sprühen und prallten auf seinen erbosten Blick. Amelia und Luc starrten einander an, keiner wollte der Erste sein, der die Lider wieder senkte.
»Lass das.«
Es war eine primitive, eindeutige und quasi alles umfassende Warnung. Und Luc gab sich auch nicht die geringste Mühe, diese Tatsache vor ihr verbergen zu wollen.
Amelia spürte, wie ihre Brüste sich spannten, wie ihr Wille mit dem von Luc kollidierte - und sie wusste mit einer Gewissheit jenseits aller Zweifel, dass Lucs Wille stärker war.
Sie hatte noch niemals zuvor seinen Zorn erregt. Und doch ahnte sie, dass Luc zu wahrhaft beängstigenden Wutausbrüchen fähig war - das war die andere Seite jener Wildheit, die sie so begehrenswert an ihm fand. Sie konnte das eine eben nicht ohne das andere haben.
Doch wenn sie nun bereit war, Luc als genau den Mann anzunehmen, der er nun einmal war, dann würde er diese Großzügigkeit auch in irgendeiner Weise erwidern müssen.
Sie hob das Kinn, drehte ihr Handgelenk hin und her. Bis er sie endlich wieder losließ - aber nur langsam, wie um auf diese Weise noch einmal mit aller Deutlichkeit zu unterstreichen, dass er sie nur deshalb wieder freigab, weil er dies so wollte.
»Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest. Ich muss mich noch umziehen.« Mit einem knappen Nicken wandte sie sich zum Haus um. »Ich sehe dich dann nach dem Mittagessen.« Eine Stunde, nachdem die Gesellschaft sich vom Mittagstisch erhoben hatte, blieb Luc am Fuße der Haupttreppe stehen und fluchte leise, doch nichtsdestotrotz vernehmlich. Wo, verdammt noch mal, steckte sie denn bloß? Er war durch das gesamte Haus gewandert. Er hatte jeden einzelnen der Empfangssalons nach ihr abgesucht - wobei er versehentlich das eine oder andere Pärchen aufgestört hatte. Und er war eine geschlagene halbe Stunde lang unter der glühenden Mittagssonne durch den Garten geschlichen und hatte jeden nur erdenklichen Winkel, an dem Amelia sich versteckt haben könnte, abgesucht. Doch alles ohne Erfolg.
Luc atmete einmal tief durch, bezwang seinen Zorn und unterdrückte seine Wut, bis er endlich wieder klar denken konnte. Dann wanderte er in Gedanken noch einmal zurück, überlegte, wo er Amelia das letzte Mal gesehen hatte.
Beim Mittagessen war sie
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