Küsse im Morgenlicht
Leidenschaft nicht mehr die bedingungslose Ergebenheit zu verbergen mochte, mit der Luc seiner Frau bereits folgte.
Diese Erkenntnis jagte Amelia einen Schauer der Erregung über den Rücken. Sie versuchte auch gar nicht erst, diesen zu unterdrücken. Stattdessen blickte sie Luc ganz offen an, sah, dass auch er ihre Reaktion bemerkt hatte. Sie lächelte. »Mrs. Higgs sagte mir, dass die Weintrauben hier gezüchtet worden wären. In deinen Gewächshäusern. Ich wusste gar nicht, dass du überhaupt welche hast.«
Luc sah sie eindringlich an, beobachtete, wie sie eine weitere Weinbeere zwischen ihre Lippen schob. Schließlich erwiderte er: »Sie liegen ganz im Westen. Zwischen dem Haus und dem gutseigenen Hof.«
Amelia hielt seinem Blick ruhig stand und fragte: »Vielleicht möchtest du mir die ja mal zeigen?«
Luc hob eine schwarze Braue. »Wann?«
Amelia zog ebenfalls die Brauen hoch. »Warum nicht jetzt gleich?«
Er schaute aus dem Fenster, ließ den Blick über die Wiesen und Felder schweifen, die allesamt wie in einem matten Schlummer unter der heißen Sonne zu ruhen schienen. Dann nahm er einen kleinen Schluck von seinem Wein und sah Amelia an. »Also gut.« Damit deutete er auf ihren Teller. »Das heißt, sobald du fertig bist.«
Er hielt ihren Blick fest. Er hatte ihren spielerisch hingeworfenen Fehdehandschuh aufgenommen. Und er hatte auch seinerseits eine Herausforderung ausgesprochen.
Amelia lächelte und widmete sich wieder mit ganzer Aufmerksamkeit ihren Weintrauben.
Schließlich verließen sie den Salon. Ihren Arm unter dem seinen durchgeschoben, wanderten sie gemeinsam den Korridor hinunter und bis ans Ende des Westflügels. Dort stemmte Luc die Tür auf, und Amelia trat hinaus. Eine warme Brise ließ ihre Locken leicht tanzen. Sie schaute zu Luc auf, als dieser neben sie trat und gelassen einen Moment innehielt. Dann erwiderte er ihren Blick, doch statt ihr abermals seinen Arm zu reichen, ergriff er ihre Hand, und gemeinsam schlenderten sie über den Rasen.
»Der kürzeste Weg führt direkt durch die Ziergärten.«
In die Hecke, die die Gartenanlage umschloss, war ein kleiner Bogengang geschnitten. Mit raschen Schritten führte Luc Amelia hindurch. Hinter der grünen Begrenzung erstreckte sich eine Reihe von aufeinanderfolgenden, jedoch jeweils ganz unterschiedlich gestalteten kleinen Gartenanlagen. In der ersten erhob sich in der Mitte ein Springbrunnen, der zweite Garten bot einen tiefen Teich, in dem silberne Fische glitzerten. Das letzte der grünen Zierstücke beherbergte einen riesigen Magnolienbaum - sein Stamm war schwer und kräftig, die Äste vom Alter bereits ganz knorrig und gekrümmt. Einige wenige Blüten saßen noch auf seinen Zweigen, hoben sich blassrosa gegen das grüne Blattwerk ab.
Amelia betrachtete den Baum. Er schien ihr wie ein Wesen aus den ersten Tagen der Welt. »Bis hierher bin ich noch nie gewandert. Diesen Teil deiner Gärten kenne ich überhaupt nicht.«
»Normalerweise gibt es ja auch keinen Grund, sich hier herauszuwagen. Außer man will zu den Gewächshäusern gelangen.«
Luc zog sie weiter und ging durch den Bogengang am Ende der Hecke. Amelia folgte ihm. Vor ihnen lagen drei niedrige, langgestreckte Schuppen, deren Dächer und Wände fast vollständig aus Glasscheiben bestanden. Im vorderen Abschnitt der Gebäude befand sich jeweils eine Tür, die man wiederum über schmale, gepflasterte Wege erreichte. Luc steuerte mit Amelia auf das linke der drei Gebäude zu.
Er öffnete die Tür, und ein Schwall warmer Luft schlug ihnen entgegen, durchsetzt mit den Gerüchen nach Erde, vermoderndem Laub und üppig wucherndem Grün. Vor ihnen breitete sich ein regelrechter Dschungel aus. Vorsichtig trat Amelia in das Gewächshaus hinein. Luc folgte ihr und schloss hinter sich die Tür. Ein leichtes Rascheln über ihren Köpfen lenkte Amelias Blick nach oben. Einige der Dachluken waren geöffnet worden und ließen eine zarte Brise zwischen den Pflanzen hindurchstreichen.
Amelia sah sich um und staunte über die ungeheure Fülle an Pflanzen, über die Üppigkeit ihres Wuchses. Dann erinnerte sie sich an die Quelle für das überbordende Blattwerk. »Es ist Sommer.« Sie schaute sich nach Luc um. »Alles wächst.«
Er nickte. Die Hand sanft in ihren Rücken gelegt, drängte er sie, weiterzugehen. »Im Augenblick gibt es hier nicht viel zu tun, außer, die Früchte zu pflücken. Später wird das Grün dann wieder zurückgeschnitten. Aber im Augenblick darf alles
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