Küsse im Morgenlicht
Sache ein, die sie nie so ganz verstanden hatte. An jenem bewussten Morgen, als sie Luc vor seinem Londoner Stadthaus aufgelauert hatte, war dieser betrunken gewesen. Und schon damals hatte sie gedacht, dass das so ganz und gar nicht zu dem Bild passte, das sie sonst von Luc gehabt hatte. Er hatte ja schließlich nicht wissen können, dass sie an diesem Morgen plötzlich wie aus dem Nichts vor ihm auftauchen und ihm - zumindest in finanzieller Hinsicht - den Hals retten würde. Das alles konnte also nur eines bedeuten … Luc war betrunken gewesen, weil er gefeiert hatte, dass er sich bereits aus eigener Kraft von der qualvollen Last hatte befreien können! Eine Misere, die, wie Amelia mittlerweile vermutete, womöglich noch wesentlich bedrückender gewesen war, als sie ursprünglich angenommen hatte.
Volle zehn Minuten lang starrte sie wie blind vor sich hin, während die vielen, verstreuten Einzelteile dieses vertrackten Puzzlespiels, als das ihr ihre Ehe nun erschien, sich langsam an ihre Plätze fügten. Und dann, endlich, sah sie das ganze Bild und erkannte Lucs wahres Motiv für ihre Eheschließung. Von neuer Entschlossenheit beseelt, stand Amelia auf und marschierte ins Schlafzimmer hinüber.
Knappe fünf Minuten später schleppte auch Luc sich müde die Haupttreppe hinauf und ging durch den Korridor aufs Schlafzimmer zu. Noch im Gehen löste er sein Halstuch und ließ es locker um seinen Hals baumeln. Draußen vor den Fenstern zog bereits die Morgendämmerung herauf, und Luc vermutete, dass Amelia vor lauter Erschöpfung bestimmt schon eingeschlafen war … Er würde also bis zum Morgen warten müssen, ehe er mit ihr sprechen konnte. Dann aber wollte er endgültig mit ihr reden! Hoffentlich war sie neugierig genug auf diese gewissen »beiden Dinge«, die er ihr gestehen wollte, dass sie nach dem Aufwachen noch lange genug im Bett bleiben würde, damit er ihr diesmal auch wirklich alles erklären konnte.
Luc griff nach dem Türknauf und schwor sich dabei im Geiste, dass er ihre gemeinsamen Räume nicht eher wieder verlassen würde, als bis er ihr alles gestanden hätte.
Er öffnete die Tür, trat in den kleinen Flur ein, schloss sie dann wieder hinter sich und marschierte weiter, den Blick auf einen störrischen kleinen Manschettenknopf gerichtet.
Erst dann erkannte er, dass noch immer eine der Kerzen brannte … und dass Amelia keineswegs in ihrem Bett lag, sondern nachdenklich am Fenster stand …
Er blickte auf.
Und duckte sich hastig.
Irgendetwas landete mit lautem Krachen hinter ihm auf dem Boden. Doch er sah sich nicht um. Stattdessen machte er einige rasche Schritte, packte mit geschicktem Griff Amelias Arme - in der einen Faust hielt sie einen großen Briefbeschwerer -, drängte sie zurück gegen die Wand und hielt sie dort quasi zwischen sich und dem Mauerwerk gefangen.
Ihre zusammengekniffenen Augen schossen förmlich Blitze, so zornig war sie. »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«, fauchte sie.
Ihr Ton war wütend, jedoch nicht eisig, sodass Luc mit leiser Hoffnung auf eine baldige Beilegung dieses spontanen Wutausbruchs fragte: »Was meinst du? Was sollte ich dir sagen?«
Doch erst zu spät erkannte er, wie unklug ausgerechnet diese Worte gewesen waren!
»Dass du stinkreich bist!« In ihren Augen loderte der helle Zorn, und ihre Brust, die vor Wut bebte, drängte sich gegen die seine. »Dass du das ganze Geld schon hattest, ehe wir beide geheiratet haben.« Sie kämpfte wie ein kleiner Dämon gegen ihn. »Dass du mich gar nicht wegen des Geldes geheiratet hast! Du hast mich glauben lassen, dass du mich nur wegen meiner Mitgift wolltest, während du die ganze Zeit schon - aaaah !«
»Halt still !« Mit eisernem Griff schloss er seine Hände um die ihren, drückte ihre Arme je rechts und links von ihrem Kopf gegen die Wand und lehnte sich fast mit seinem gesamten Gewicht gegen sie. Sonst hätte sie ihn mit dem Briefbeschwerer wohl regelrecht erschlagen - oder aber sich selbst verletzt. Er starrte hinab in ihre zornig funkelnden Augen, musterte ihre störrische Miene. »Ich wollte es dir ja sagen.« Aber in einer etwas friedlicheren Situation, als sie sie jetzt gerade erlebten. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich dir noch zwei kleine Geständnisse zu machen hätte. Und die Sache mit dem Geld … nun, das war das erste.«
Amelia kniff ihre Augen noch weiter zusammen und schien ihn mit ihrem Blick regelrecht durchbohren zu wollen. Sie weigerte sich entschieden, sich ihre
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