Küssen auf eigene Gefahr
sie sonst tun, um den Ansturm von Gefühlen unter Kontrolle zu halten? Sie lauschte dem Pfeifen und Piepsen, das aus dem Raum mit den Videospielen drang, und blickte ins Leere.
Sam beobachtete sie aus dem Augenwinkel, und sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Sie hatte etwas an sich, das ihm das Gefühl gab, ein ungehobelter Klotz zu sein. So wie sie da saß, wirkte sie wie eine Königin inmitten des gemeinen Volks, und es war nur schwer zu glauben, dass sie ihren Lebensunterhalt damit verdiente, sich mit ein paar Stofffetzen bekleidet zur Schau zu stellen. Was für eine begnadete Schauspielerin! Er spielte mit dem Gedanken, sein linkes Bein noch ein bisschen weiter in ihre Richtung zu schieben, nur um zu sehen, was sie dann tun würde.
Aber das war vermutlich keine gute Idee. Verdammt. Wie stellte sie das bloß an, dass er ständig in Versuchung war, den Grund seines Hierseins zu vergessen?
Er beugte sich vor und hob die Reisetasche auf seinen Schoß. Dann öffnete er den Reißverschluss und begann Sachen herauszuziehen, um sich einen Überblick über den Inhalt zu verschaffen, und seine Laune besserte sich schlagartig. Die Dinge standen bei weitem nicht so schlecht, wie er befürchtet hatte.
»Was machen Sie denn da?«
Er blickte auf und stellte fest, dass sie sich umgedreht hatte und ihm zusah. Sie starrte auf den Stapel Jeans, T-Shirts und Unterwäsche, den er auf seinem Schoß aufgetürmt hatte und auf dem ganz oben sein Rasierzeug thronte.
»Ich sehe nach, was in der Tasche ist.«
»Warum, hat Ihre Frau sie für Sie gepackt, oder was?«
Sam ließ ein kurzes, unfrohes Lachen hören. »Lady, sehe ich vielleicht wie ein glücklich und zufrieden verheirateter Mann aus?«
Ihre großen grünen Augen blieben völlig ausdruckslos, als sie seinen Blick erwiderte. »Ich glaube nicht, dass Sie wirklich wissen wollen, wie Sie meiner Meinung nach aussehen, McKade. Aber sie wirken zumindest intelligent genug, um sich daran erinnern zu können, was Sie gestern Abend oder heute Morgen in Ihre Tasche gepackt haben.«
Aus irgendeinem Grund entlockte ihm diese Unverschämtheit ein Lächeln. Eins musste er ihr lassen, sie war nicht auf den Mund gefallen. »Die Tasche hat im Kofferraum meines Autos gelegen seit... ich weiß nicht, wie lange«, sagte er. Dass sie mit einem Vorrat an den nötigsten Dingen ständig dort deponiert war, hatte sich schon bei mehr als einer Überwachung als nützlich erwiesen. »Ich hatte den Wagen auf dem 24-Stunden-Parkplatz abgestellt und deshalb heute Morgen gerade noch Zeit, die Tasche zu holen, bevor mein Flug ging. Eine ausgesprochen glückliche Fügung, wie mir scheint, sonst hätte ich mich auch noch neu einkleiden müssen, nachdem Sie mir im MIA entwischt sind.«
»MIA? Ist das vielleicht die Kopfgeldjäger-Abkürzung für mitten in Aktion?«
Schon recht. Als ob du das nicht wüsstest. »In Ordnung, ich spiele das Spielchen mit«, sagte er in übertrieben geduldigem Ton. »Miami International Airport. Der Flughafen, von dem wir beide heute Morgen abgeflogen sind.« Mist. So viel zu seiner guten Laune. Er hätte für den Rest des Tages gut darauf verzichten können, daran erinnert zu werden, wie viel er ihretwegen bereits für Flugtickets und Busfahrkarten hatte hinblättern müssen.
Ein kleiner blonder Junge kletterte links neben Catherine auf die Bank. »Hallo!«, sagte er. Er hielt sich mit einem seiner Patschhändchen an der Rückenlehne fest und beugte sich zu ihr herüber, dabei hielt er den Becher mit Traubensaft in seiner anderen Hand so schief, dass der Saft bedenklich nahe an den Rand schwappte.
»Tommy! Lass die Frau in Ruhe.« Eine erschöpft aussehende blonde Frau in billiger, abgetragener Kleidung ließ sich auf den freien Platz neben ihrem Sohn fallen.
Zu Sams Verblüffung bedachte Catherine Mutter und Kind mit einem Lächeln. »Das ist schon in Ordnung«, versicherte sie der Frau und fügte dann, an den Jungen gewandt, freundlich hinzu: »Hallo, Tommy.«
»Weißt du was?«, verkündete der Knirps. »Nächste Woche werde ich vier.« Er grinste und plapperte weiter: »Ich und Mommy fahren nach Portland.« Er vollführte eine weit ausholende Geste mit der Hand, in der er den Saft hielt. »Da wohnen wir bei meiner Granny. Und du? Wo fährst du hin?« Kaum hatte er die letzten Worte gesagt, schwappte der Traubensaft aus dem Becher, beschrieb einen Bogen in der Luft und landete auf Catherines Bluse, ihren bloßen Knien und dem Boden. Sie schrie vor Schreck auf, sprang
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