Küssen ist die beste Medizin (German Edition)
verständnisvoll.
„Entschuldige“, wiederholte sie. „Es muss schwer für dich sein, ihn einfach so zu verlieren.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihn nicht einmal zu Gesicht bekommen. Er ist gestorben, bevor ich überhaupt anfangen konnte. So etwas kommt manchmal vor. Es ist nicht immer meine Aufgabe, sie vor dem Tod zu bewahren. Ich bin eher dazu da, sie so gut wie möglich normal aussehen zu lassen, denn es gibt Grenzen für das, was die Mitmenschen zu ertragen bereit sind.“
Obwohl er sie anschaute, hatte sie das Gefühl, dass er sie nicht sah . Er starrte auf etwas anderes, etwas aus seiner Vergangenheit.
Redete er von sich, wenn er von Grenzen sprach? Aber er trug seine Narben wie eine Auszeichnung. Oder dienten sie ihm als Erinnerung?
Sie hob eine Hand und legte sie auf seine Wange. Die spiralförmigen Narben waren erhöht und fühlten sich hart an. Er presste seine Hand auf ihre, als wollte er sie dort festhalten.
„Das ist nicht alles.“ Sein Blick wurde eindringlicher. „Sie verlaufen weiter nach unten über meinen Hals und über meine Brust. Ein paar habe ich auch auf dem Rücken und an einem Arm.“
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, was er von ihr brauchte. Es schien nicht zu reichen, ihm zu versichern, dass es ihr nichts ausmachte.
„Du musst dir keine Sorgen machen“, fuhr er fort. „Du hättest sie nicht zu sehen bekommen. Wenn wir uns heute Abend geliebt hätten, hätte ich mein T-Shirt angelassen. Das macht es leichter.“
„Leichter für wen?“
„Für uns beide.“
Sie wusste nicht recht, ob sie wirklich wollte, dass es leichter war. Es war ein Bestandteil der Intimität, ihn zu sehen. Aber vielleicht war es gerade das, was er nicht wollte. Er wollte nicht gesehen werden. Nicht ganz.
Wenn das stimmte, wer hatte ihn verletzt? Wer hatte ihm beigebracht, dass es besser war, die Wahrheit zu verbergen? Oder hatte er das allein entschieden?
Montana merkte, dass sie die Narben sehen wollte, sie berühren wollte. Das ist lächerlich, sagte sie sich. Schließlich war es nicht so, als könnte sie ihn heilen.
Er ließ die Hand sinken, und sie ebenso. Sie hielt seinen Blick fest und sagte: „Meine Freundin Pia hat gerade Zwillinge bekommen, zwei kleine Mädchen. Das ist der Grund, weshalb ich hier bin. Fast der ganze Ort ist auf den Beinen, und wir bevölkern das Wartezimmer auf der Entbindungsstation. Dort gibt es auch etwas zu essen. Hast du Hunger? Meine Mom ist da, und ich weiß, sie würde dir gerne Hallo sagen.“
„Ich bin nicht der Party-Typ.“
„Das ist keine Party. Es sind einfach Leute, die sich zusammengefunden haben. Eine Geburt ist ein Grund zu feiern.“
Er wandte sich von ihr ab. Eine Sekunde lang glaubte sie, er wollte gehen, aber dann drehte er sich wieder zu ihr um.
„Es ist das, was ich bin.“ Seine Stimme klang wie ein leises Knurren.
„Ich verstehe nicht.“
„Ich bin ein brillanter Chirurg. Im Operationssaal kann ich zaubern. Ich kann mir jemanden vornehmen, der in den Schatten kriechen muss, und ihn oder sie in einen Menschen verwandeln, der als normal durchgehen kann. Weißt du, was das für sie bedeutet? Einfach nur auszusehen wie alle anderen?“
Unsicher, worauf er hinauswollte, schüttelte sie den Kopf.
Er verzog den Mund. „Du kannst es dir vorstellen, aber du wirst es nie wissen.“ Jetzt berührte er ihr Gesicht. „Du hast die Gabe der Schönheit. Weißt du eigentlich, dass nur ein Unterschiedvon Millimetern zwischen dem liegt, was wir schön finden, und dem, was wir hässlich finden? Zu kleine Augen, ein ungleichmäßiger Mund. Das sind nicht einmal Zentimeter, nur Bruchteile davon.“ Mit einem Daumen zeichnete er den Umriss ihrer Lippen nach. „Du bist physisch perfekt.“
„Bin ich nicht.“
„Nahe genug dran. Aber es gibt andere wie mich. Die Monster, und die befreie ich aus den Schatten.“ Er hielt beide Hände vor ihr hoch. „Es ist wie Magie. Es ist Ausbildung, harte Arbeit, und es ist eine Gabe. Aber die hat ihren Preis. Ich gehöre nirgendwo hin, Montana. Ich habe nicht deine Schönheit, und ich lebe nicht in deiner Welt. Ich mache meine Arbeit, und ich halte Abstand. Das ist besser so.“
„Das ist so ein Haufen Scheiße“, rutschte es ihr heraus, bevor sie sich bremsen konnte. „Es steht nirgendwo geschrieben, dass du dich selbst opfern musst, um gut zu sein in dem, was du tust. Ja, du besitzt ein großes Talent, und du hast hart daran gearbeitet, es zu pflegen. Du wolltest der Beste sein, und
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