Küstenfilz
Herr Joost sind in dringender Sorge um ihre Kinder und
wollen weiteres Leid von den Kleinen abwenden, indem sie sich an die Weisungen
der Täter halten.«
»Die Erfahrung
zeigt, dass das Wort von Verbrechern selten gilt. Ich würde es für sinnvoller
halten, der Polizei freie Hand zu geben und die Fachleute mit
Fingerspitzengefühl ermitteln zu lassen. Sie verschaffen den Tätern nur
Freiräume, die bestimmt nicht dem Kindeswohl dienlich sind. Je länger die
Kleinen in den Händen der Entführer sind, umso größer wird die psychische
Belastung für die Kinder.«
»Es nützt Ihnen
nicht, wenn ich Ihre Auffassung teile. Und Eltern handeln in einer solchen
Situation bestimmt nicht rational.«
Das trifft
allerdings zu, dachte Lüder. Dann wechselte er das Thema.
»Sind Sie in
Sankelmark bei Ihren Überlegungen hinsichtlich der Windkraftanlagen zu einem
gemeinsamen und tragfähigen Ergebnis gekommen?«, startete er einen
Versuchsballon.
Von Halenberg
stutzte einen Moment. »Entscheidungen standen dort nicht auf der Tagesordnung«,
wich er aus.
»Wir kennen den
Findungsprozess«, kürzte Lüder ein langes Hin und Her nichtssagender Phrasen
ab. »Die Beschlussvorlagen werden in Arbeitsgremien vorbereitet und später dem
Kreistag zur Entscheidung vorgelegt. Dabei ist es weniger eine wirkliche Wahl,
sondern eher ein Durchnicken der Vorlage bei der Mehrheit, die Sie hinter sich
wissen.«
»Sie verkennen die
Spielregeln der Demokratie«, protestierte der Landrat, doch Lüder winkte ab.
»Die Demokratie
reduziert sich bei uns auf die Stimmabgabe der Wähler. Ansonsten werden die
Dinge nicht im Parlament diskutiert, abgesehen von den medienwirksamen
Wortgefechten, sondern in Ausschüssen, interfraktionellen Sitzungen oder am
Biertisch vorbereitet. Für mich ist es immer ein Graus, wenn ich höre, dass bei
der Wahl eines Parteivorsitzenden die Geschlossenheit gestört wird, wenn ein
Gegenkandidat antritt. Voller Bewunderung lesen wir dann, dass dieser oder
jener mit weit über neunzig Prozent wiedergewählt wurde. Solche Traumergebnisse
hätte Honecker auch gern gehabt.«
»Nun übertreiben Sie
aber, Herr Lüders. Es ist schon richtig, dass Sie die Dinge vorbereiten müssen.
Aber die demokratische Abstimmung erfolgt immer noch im Parlament.«
»Ich fürchte, in
diesem Punkt kommen wir nicht zueinander«, sagte Lüder. »Aber wie war es nun?
Wurde in Sankelmark ein Konsens erreicht?«
»Wir haben die Sache
nicht abschließend diskutiert«, bekannte der Landrat. »Es gibt wie bei allen
Dingen stets mehrere Betrachtungsweisen. Zum einen ist es richtig, sich Gedanken
um die Sicherung des Energiebedarfs zu machen. Andererseits entstehen mit jedem
Windpark aber Belastungen für die Bevölkerung im Umkreis. Wir müssen an den
Tourismus denken, ein bedeutender Wirtschaftszweig in unserem Landesteil. Hinzu
kommen viele Einzelprobleme, die zu erörtern an dieser Stelle zu weit führen
würde.«
»Wie löst denn Herr
Rasmussen sein ganz persönliches Problem?«
Graf von Halenberg
sah Lüder an. »Ich kann Ihnen nicht folgen. Wie meinen Sie das?«
»Als Vorsitzender
des Ausschusses, der sich mit Für und Wider einer solchen Anlage befasst, hat
seine Stimme Gewicht. Steht dem sein Interesse als Privatmann nicht entgegen?
Immerhin investiert er in nicht geringem Maße in Windenergieanlagen.«
»Ach, so!« Der
Landrat lehnte sich entspannt zurück. »Es sei Ihnen versichert, dass der Holger
zwischen diesen beiden Welten differenzieren kann. Er ist so weit Demokrat und
fühlt sich der Politik verantwortlich, dass er sich niemals von persönlichen
Interessen leiten lassen würde.«
»Kennen Sie das
achte Gebot?«
Der Landrat machte
ein betroffenes Gesicht. »Du sollst nicht ehebrechen?«, riet er.
Lüder lachte. »Das
gilt eher für die Bürgermeisterin von Schleswig. Lesen Sie ruhig nach, was im
achten steht.«
Wenn es möglich war,
die Betroffenheit im Ausdruck noch zu steigern, so war dies Graf von Halenberg
gelungen. Der Landrat stand auf und reichte Lüder die Hand.
»Auf Wiedersehen«,
sagte er.
»Moment«,
protestierte Lüder. »Bevor ich gehe, möchte ich noch das Sitzungsprotokoll aus
Sankelmark.«
»Ach, das hätte ich
nun fast wieder vergessen. Kommen Sie, wir werden zu Herrn Manthling gehen.«
Lüder folgte dem
Landrat durch die verwinkelten Flure, bis von Halenberg vor einer Tür stehen
blieb, kurz klopfte und das Büro betrat. Der Raum war leer, während der
Schreibtisch noch mit Unterlagen und
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