Küstengold: Kriminalroman (German Edition)
sechs im Gange und habe nur
ein kleines Verschnaufpäuschen eingelegt«, log Stuhr verschmitzt.
Seine Kumpel
schienen Böses zu ahnen, denn ihr übliches Gelächter blieb aus. Stuhr überlegte
fieberhaft. Bier müsste noch in der Kiste auf seinem Balkon sein, und der Kaffeeautomat
stand in der Küche bereit.
Die Kumpel
drängten genervt in seine Wohnung, um das volle Ausmaß der Katastrophe einschätzen
zu können. Olli riss als Erstes die Fenster auf. »Ah, Sauerstoff.«
Stuhr gab
Instruktionen, um das Volk hinzuhalten. »In der Küche und auf dem Balkon findet
ihr Getränke. Gebt mir fünf Minuten.«
Ohne auf
eine Antwort zu warten jagte Stuhr ins Badezimmer. Nach einer Katzenwäsche eilte
er ins Schlafzimmer, zog frische Sachen an und warf die alten Klamotten auf den
großen Haufen in der Abseite, der ihn daran erinnerte, dass dringend ein Besuch
im Waschcenter anstand.
Als er einigermaßen
frisch in die Küche zurückkehrte, hatte sich das Volk bereits bedient. Die meisten
der Helfer, die sich inzwischen ein genaues Bild von der Lage gemacht hatten, umklammerten
frustriert einen Becher Kaffee. Lediglich Olli hatte sich ungerührt ein lauwarmes
Bier vom Balkon gekrallt.
Lautes Hupen
von der Straße drang durch das geöffnete Fenster. Olli verschloss es schnell wieder,
ohne eine Miene zu verziehen. Das kam Stuhr verdächtig vor. Er beugte sich ein wenig
vor, um aus dem Fenster zu schielen. Olli hatte den LKW für den Umzug mitten auf
der engen Straße platziert, die Warnblinker angestellt und damit die Grundrechte
aller anderen Autofahrer außer Kraft gesetzt. Kein Fahrzeug würde daran vorbeikommen.
Stuhr musste
etwas unternehmen. Er nahm einen Küchenstuhl in die Hand und machte sich auf den
Weg ins Treppenhaus. »Ich fange schon einmal an. Wenn die anderen Autofahrer sehen,
dass etwas getragen wird, haben die vielleicht mehr Verständnis für die Situation.
Packt ihr mit an?«
Unwillig erhob sich seine Truppe
von den Stühlen. Als Stuhr mit dem Stuhl die Straße betrat, wurde er von dem ersten
in der Schlange stehenden Autofahrer angebrüllt. »Meister, nimm deine Rostlaube
da weg. Aber dalli, ich habe einen Termin!«
Bevor sich
Stuhr über eine passende Antwort Gedanken machen konnte, wurde er von der Solidarität
seiner Mitträger überrollt. Ausgerechnet Olli wies den Autofahrer barsch an: »Umzug!
Du kannst es dir aussuchen: Warten oder rückwärts fahren. Das wird hier noch einige
Zeit dauern.«
Weil die
Ansprache ungewohnt laut war und keiner wusste, wie der Streit ausgehen würde, schienen
sich die Autofahrer mit ihrer Lage abzufinden.
Allmählich
wurde der Lastwagen befüllt. Natürlich schwang sich wie immer sofort ein Helfer
auf die Ladefläche und spielte den Stauer. Auch das gehörte zu den Umzugsritualen.
Das schien
gut zu laufen, befand Stuhr nach einiger Zeit. Er würde besser oben nach dem Rechten
sehen. Im Treppenhaus begegnete ihm ein Kumpel, mit dem er als Student in einer
Tiefbaukolonne gejobbt hatte. Stuhr bemerkte, dass der Karton, den er trug, auf
der unteren Seite kurz vor dem Aufbrechen war. Es handelte sich immerhin um seine
Weißbier-Gläsersammlung, also auch für die anderen männlichen Mitträger ein hohes
Gut.
»Mensch,
Alter, pass auf, sonst klingelt es im Karton. Meine Biergläser. Fass besser unten
an.«
Sein Kumpel
ging aber ungerührt weiter und brummelte nur. »Ist doch nicht meins.«
Über diese
Form von Gleichgültigkeit und Anarchie bei Umzügen mit fremden Dingen musste Stuhr
grienen. Wie oft hatte er an freien Tagen bei Umzügen geholfen und über all den
Krempel geflucht, der von A im vierten Stock nach B im fünften Stock transportiert
werden musste. Am schlimmsten waren immer Keller und Boden. Die kamen meist unangekündigt
zum Schluss, wenn die Nerven schon richtig blank lagen.
Umzüge waren
immer schon die absolute Höchststrafe, zudem ähnelten sie ein wenig Beerdigungen.
Alte und neue Freundeskreise trafen unvermittelt wieder aufeinander. Man merkte,
wie gut oder schlecht das Schicksal den alten Freunden und Bekannten mitgespielt
hatte. Bisweilen sah man neue Partner, und zwischen dem ganzen Gerümpel des Lebens
war jeder heilfroh, nicht selbst umziehen zu müssen.
Stuhr nahm sich vor, zurückhaltend
zu bleiben, schließlich hatten sich alle freiwillig eingefunden. Das wird schon
gut gehen mit den Gläsern, dachte er sich. Zudem hätte er sich gestern besser um
das Einpacken seiner Schätze kümmern sollen, anstatt den neuen Frauenroman
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