Küstengold: Kriminalroman (German Edition)
Überzeugung gegen die Atomlobby endlos lang über kleine Straßen,
Schleichwege und Wiesen nach Brokdorf.
Oh je, das
war fast eine Ewigkeit her. Aber er war dabei. Es waren wilde Zeiten. Der harte
Kern kam aus dem Hamburger Schanzenviertel und ging ultrabrutal zur Sache. Das war
der berüchtigte Schwarze Block.
War es Barschel
oder Stoltenberg, der die Demonstranten daraufhin als Reisechaoten beschimpfte?
Stuhr wusste es nicht mehr.
Jetzt war
es in Brokdorf ruhig und friedlich. Ein aufwändig mit viel Glas gestaltetes Informationszentrum
am Atomkraftwerk sollte vermutlich Seriosität und Transparenz ausstrahlen. Das gab
es früher nicht.
Heute muhte
keine Kuh, und auch kein Schaf meckerte, nur weil ein heranrauschendes Fahrzeug
die Idylle vor dem Atomkraftwerk störte. Es war Kommissar Hansen, der missmutig
ausstieg. Auch er schien sich in der Nähe des Atomkraftwerkes nicht sonderlich wohlzufühlen.
»Moin, Stuhr. Nicht gut hier. Musste früher als Rotarsch in der Polizeischule mit
Wasserwerfern auf Demonstranten halten. Befehle befolgen. War eine Scheißzeit. Polizeistaat.«
Stuhr konnte
sich seine Bemerkung nicht verkneifen. »Ist Deutschland denn heute kein Polizeistaat
mehr?«
Hansen zeigte
sich belustigt. »Arbeitest du nicht für mich? Für die Kieler Kriminalpolizei?«
Stuhr würde
alles noch einmal gründlich überdenken müssen.
Aber jetzt
näherte sich langsam vom Werksgelände ein weißes Fahrzeug ohne Kennzeichen und hielt
vor ihnen. Zwei Männer stiegen aus. »Sie sind Kommissar Hansen, richtig? Ich bin
Frank Beier vom Werkschutz dieser Kraftwerksanlage, und das ist Herr Vanscheidt
von der Betreibergesellschaft des Atomkraftwerks. Kein schöner Anlass, uns zu treffen,
aber gut, dass Sie da sind.«
Der Kommissar
nickte kurz und stellte Stuhr als seinen Kollegen vor. Dann legte er los. »Ich habe
nicht ohne Grund auf dieses informelle Treffen gedrängt, meine Herren. Machen wir
das offiziell, dann haben wir drei Landesbehörden am Hals, mindestens ein Bundesministerium
und den Verfassungsschutz noch obendrauf. Das muss doch nicht sein, oder?«
Beier und
Vanscheidt schüttelten den Kopf und blickten betreten zu Boden. Stuhr war beeindruckt,
wie flach Hansen den Ball hielt und dennoch gleich zum Torschuss ansetzte.
»Wir können
jetzt viel um den heißen Brei herum reden. Aber machen wir es kurz, meine Herren.
Wo ist Ihr Sicherheitsloch? Das Restrisiko.«
Vanscheidt
nickte, woraufhin Beier ziemlich technisch antwortete. »Das Restrisiko ist das verbleibende
Risiko des Versagens einer technischen Anlage. Man kann es nie ausschließen, egal
wie klein es sein mag. Oder groß, wie ein Erdbeben, das Riesenwellen auslöst. Sie
verstehen?«
Beier spielte
auf Fukushima an, deren Betreiber große Erdstöße kategorisch ausgeschlossen hatten.
Hansen gab sich mit der Antwort nicht zufrieden. »Ich verfolge auch die Tagesschau,
Herr Beier.«
Jetzt meldete
sich Vanscheidt, der den Unwillen von Kommissar Hansen bemerkte. »Kommissar Hansen,
jede Technik und damit auch jeder Reaktor ermöglicht grundsätzlich Unfälle. Aber
die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Kernschmelze gerade in Brokdorf ist denkbar
gering. Im Vergleich zu anderen Erdteilen leben wir geophysikalisch gesehen in einem
Paradies.«
Hansen zeigte
sich gut vorbereitet. »Das soll auch so bleiben, Herr Vanscheidt. Ich habe die Analysen
zu Fukushima anders verstanden, es geht schon lange nicht mehr um Ihre Firmenpolitik.
Wir sehen eine Bedrohung für Ihr Kernkraftwerk am kommenden Wochenende. Sie werden
von der Anschlagserie gegen Kraftwerksbetreiber in Schleswig-Holstein gelesen haben.«
Vanscheidt
schwieg.
So wendete
sich Kommissar Hansen dessen Kollegen Beier zu. »Ihre Familie wohnt sicherlich am
Ort. Was wäre aus Ihrer Sicht die größte Gefahr für Ihre Angehörigen?«
Beier wartete
nicht das Signal von Vanscheidt ab, antworten zu dürfen: »Ein Brand. Wer uns wirklich
wehtun will, der jagt unsere Generatoren und Notstromaggregate in die Luft. Selbst
einen einfachen Brand würden wir nur schwer unter Kontrolle bekommen. Unsere Pumpen
und Kühlsysteme würden irgendwann nicht mehr funktionieren, und die Erhitzung könnte
zur Kernschmelze führen. Und wenn der Reaktormantel nicht dicht hält, dann gnade
uns Messias. Im AKW Krümmel hatte es vor der Stilllegung mehrfach Versuche von Chaoten
gegeben, Trafohäuser hochgehen zu lassen.«
Hansen bohrte
nach: »Welche Vorkehrungen haben Sie gegen einen möglichen Anschlag auf Ihre
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