Kultur für Banausen - alles was Sie wissen müssen, um mitreden zu können
Arztpraxen und U-Bahn-Höfen klingen gerne einmal Mozart- oder Haydn-Stücke aus dem Lautsprecher, aber es sind die immer gleichen, wohlbekannten Musikfetzen: Bruchstücke, die aus dem großen Zusammenhang gerissen wurden, zum Beispiel aus einer Sinfonie, ebenjene kleinen Melodien, die von Mozart, Haydn und ihren Kollegen populär geworden sind. Warum, mag da so mancher denken, sollich mir noch den ganzen langen Rest drumherum antun, der wahrscheinlich viel langweiliger ist und der mir erst mal gar nichts sagt?
Genau diese Frage wollen wir in diesem Kapitel beantworten. Vorab ist aber noch eine begriffliche Sache zu klären: Wir sprechen hier kurz und knapp von Musik – und meinen damit weder Pop noch Jazz (diesen beiden Abteilungen sind ja eigene Kapitel gewidmet). Wir meinen jene Musik, die wir in unserer Alltagssprache als »klassische« oder »ernste Musik« definieren. Dabei sind diese Bezeichnungen ungenau, denn die Klassik ist wiederum nur eine bestimmte Epoche innerhalb der »klassischen Musik«. Und ein nicht geringer Teil der sogenannten ernsten Musik ist gar nicht so furchtbar ernst, sondern ziemlich unterhaltend – während andererseits sehr viele Pop- und Jazzmusiker ihre Musik überaus ernst nehmen.
Wenn wir in diesem Kapitel also von Musik sprechen, dann meinen wir die Werke von Mozart, Beethoven & Co – zu hören auf den Kultur- und Klassikkanälen im Radio. Oder eben im großen, geheimnisvollen, manchmal etwas Furcht einflößenden und trotzdem unersetzlichen Konzert.
Mit einer Flöte fing alles an: Musik als Urbedürfnis
Ende 2008 fanden Archäologen der Universität Tübingen in einer Höhle auf der Schwäbischen Alb, 20 Kilometer westlich von Ulm, eine 22 Zentimeter lange Flöte. Die Untersuchungen ergaben, dass das Instrument mindestens 35000 Jahre alt ist, also aus der Eiszeit stammt.
Man stelle sich vor: In unseren Konzerten erklingt Musik, die höchstens, aber wirklich allerhöchstens rund 1000 Jahre alt ist – ein für unser Empfinden schon riesiger Zeitraum. 35 mal länger aber ist es her, dass ein Eiszeitmensch in einergroßen und zugigen Höhle auf der Alb die Idee hatte, aus dem Flügelknochen eines Gänsegeiers ein schmales Ding zu schnitzen und es mit fünf Löchern exakt an den richtigen Stellen zu versehen, um damit kleine Melodien pfeifen zu können.
Denn das ist das Erstaunliche an dieser kleinen Flöte: Sie produziert Töne, die uns sofort bekannt vorkommen. Als die Wissenschaftler ihren Fund 2009 in einer Ausstellung in Stuttgart präsentierten, waren über Lautsprecher die Töne dieser Eiszeitflöte zu hören (natürlich spielte man aus konservatorischen Gründen auf einer Rekonstruktion). Und es war geradezu rührend, mit welcher Andacht viele Besucher den Tonaufnahmen lauschten. Wer noch nie einen Gedanken daran verschwendet hat, wie seltsam innig unser Verhältnis zur Musik ist, bekam hier eine Ahnung davon.
Überall, wo es Menschen gibt, erklingt Musik. Menschen singen, klatschen, stampfen rhythmisch mit den Füßen. Menschen bauen sich Instrumente, mit denen sie Töne erzeugen können. Es gibt keine menschliche Kultur ganz ohne Musik. Woher dieses Urbedürfnis zum Musizieren und zum Musikhören kommt, darüber forschen Wissenschaftler seit vielen Jahrhunderten. Ganz sicher spielt eine Rolle, dass schon unsere allerersten Empfindungen im Mutterleib mit Musik verbunden sind – der Herzschlag der Mutter ist so etwas wie der Urrhythmus, den jeder von uns bereits lang vor der Geburt mitbekommen hat. Einige Wissenschaftler behaupten sogar, das Singen und Stampfen bilde den Ursprung der menschlichen Sprache.
Natürlich gibt es immer wieder Menschen, die von sich behaupten, ganz unmusikalisch zu sein. Die beim Singen wirklich keinen einzigen Ton treffen und die Mühe haben, selbst eine einfache Melodie aufmerksam zu verfolgen. Doch statt von Unmusikalität sollte man eigentlich besser von unterschiedlichen musikalischen Begabungen sprechen – ebenso wie manche Menschen leichter mit Zahlen umgehen können als andere. Aber völlig unmusikalisch könnte man eigentlich nur sein, wenn objektiv definiert wäre, was gute und was schlechte Musik ist – und manche Menschen dann mit ihrer Vorliebe für schlechte Musik zu den unmusikalischen zu zählen wären. Doch eines steht fest: Musikalisch im Sinne von urmusikalisch (man denke dabei zum Beispiel auch an das Gejohle von Fußballfans!) sind wir fast alle.
Wie die Musik in den Konzertsaal kam
Menschen musizieren
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