Kumpeltod: Nachtigalls achter Fall (German Edition)
zueinander, allerdings hatte niemand
behauptet, sie hätten einander gehasst. Und doch: Der Sohn wäre auf dem
Grundstück der Johns nicht bemerkt worden, weil er dorthin gehörte. Frau
Schildermacher hätte ihn vermutlich nicht einmal registriert. Und
möglicherweise wäre er auch nah genug an seinen Vater herangekommen. Aber warum
sollte er urplötzlich den Plan gefasst haben, ihn zu töten?
Nachtigall
begann vor der Pinnwand auf und ab zu gehen.
Seine
Gedanken wehten hinter der Stirn vorbei wie Pollenwolken im Frühlingswind.
Waren schwer festzuhalten, drifteten zu schnell weiter.
Weil er
etwas erfahren hatte, was er zuvor nicht wusste, beantwortete sich der
Hauptkommissar die Frage. Angenommen, jemand hatte Lombard erzählt, vielleicht
gar nicht mit Absicht sondern aus Versehen, dass sein Vater in diese
Drogengeschichte verstrickt war und unmittelbar mit dem Verschwinden von
Grendke zu tun hatte.
Aber
wer tötete die Freunde von damals?
Er nahm
das Heft aus Grendkes Tasche und las weiter. Manchmal zog er den Kopf zwischen
die Schultern, wenn das, was er da erfuhr, zu entsetzlich war. Elektroschocks
an den Genitalien, Amputationen, die Angst des Mannes, bald den Stift nicht
mehr halten zu können und endgültig zum Schweigen verdammt zu sein. Sprechen
fiel ihm schwer, seit man ihm die Zungenspitze … Nachtigall schauderte.
»Wo
bist du nur gewesen?«
Dann
kehrten seine Gedanken wieder zu den Überlebenden der Gruppe zurück. »Langer
weiß mehr, als er uns sagt. Shit! Wo bleibt eigentlich Michael?«
Wie
herbeigerufen stürmte der Freund ins Büro.
»Der
schweigt. Aber als ich ihn nach Rosenfeld gefragt habe, wurde er unruhig – und
den Namen Tannenberg will er nie gehört haben. Dabei hat er aber wenig
überzeugend ausgesehen. Sicher eine dreiste Lüge.«
»Hast
du was von Silke gehört?«
»Nein.
Die schläft. Wirst schon sehen.«
»Gut,
dann gehen wir sie jetzt aufwecken. Und Langer auch.«
Michael
beeilte sich, Nachtigall auf den Fersen zu bleiben.
»Sie öffnet nicht.«
»Bist
du dir bei der Hausnummer auch sicher? Hast du Sturm geklingelt?«
»Ja,
klar. Sogar in der Nachbarwohnung ist das Licht angegangen und jemand hat
durchs Fenster geschimpft. Aber bei Silke ist alles dunkel.«
»Frag
die Stimme aus der Nachbarwohnung, ob Silke nach Hause gekommen ist.«
»Na,
die wird unendlich begeistert sein!« Wiener trollte sich lustlos zurück zu dem
Wohnblock in der Makarenkostraße, der schwarz und massig einen abweisenden
Eindruck machte.
Nur
Augenblicke später war er zurück, flüchtete sich regelrecht ins Auto zurück.
»Nein.«
»Nein?«
»Sie
ist nicht nach Hause gekommen. Und ich hoffe dringend, dass die Frau mein
Gesicht nicht gesehen hat, sonst wird sie wohl auf offener Straße über mich
herfallen, um mir die Augen auszukratzen, wenn sie mich irgendwo erkennt.«
»Wir
wissen, dass sie bei Langer war. Genau da fahren wir jetzt hin.«
»Es ist
zwei Uhr morgens!«, erinnerte ihn Wiener, der sich vorstellte, wie er reagieren
würde, wenn bei ihm um diese Zeit jemand klingelte.
»Ist
mir klar. Aber das heißt auch, dass wir seit Stunden keinen Kontakt zu unserer
Kollegin haben! Denk mal an deine Anfangszeit zurück. Du wolltest auch am
liebsten jeden Fall im Alleingang lösen. Was, wenn sie genau das auch versucht
hat?«
»Sie
hatte ein paar Einkäufe für Frau Tannenberg erledigt. Die alte Frau wollte sie
zwar nicht in die Wohnung lassen, aber Silke dachte, mit einer Tüte voller
Naturalien könne sie es schon schaffen, ihr Vertrauen zu gewinnen.«
»Du
meinst, sie könnte nach der gefühlten Rettung Langers dorthin gefahren sein?«
»Na,
ja. Ein bisschen spät war es da schon, aber alte Leute schlafen oft nicht mehr
so viel.« Wiener zuckte mit den Schultern.
»Könnte
ja sein, dass bei Tannenberg noch Licht brennt. Auf der anderen Seite möchte
ich die arme Frau nicht unbedingt wecken«, überlegte Nachtigall laut.
»Wieso
beschäftigt dich jetzt Tannenberg?«
»Wegen
der Akte Rosenfeld. Und der Tatsache, dass Heiner Lombard auf eine Spur
gestoßen ist. Was, wenn diese Spur Tannenberg hieß? Rosenfeld ist ein
ungewöhnlicher Name für einen Hund – oder?
Könnte doch sein, dass er eine ganz bestimmte Bedeutung hat.«
Wiener
warf Nachtigall einen langen Blick zu.
Dann
fuhr er zügig durch die nachtleere Stadt.
»Also,
wohin nun zuerst?«
»Büro.
Wir wissen zu wenig über Silke, weißt du? Bei Albrecht war immer klar, dass er
in ernsten Schwierigkeiten steckt, wenn
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