Kunstblut (German Edition)
sich angewidert.
»Das war nicht meine Absicht.«
»Aha.«
Ich nahm einen Schluck Malt. Natürlich hätte ich ihr erklären können, dass ich vor anderthalb Stunden knapp dem Tod entronnen war und einem Helden das Leben gerettet hatte, während um mich herum alles in Schutt und Asche ging, aber ihr Ton legte fest, dass dies nicht der Zeitpunkt für Erklärungen war. »Gehen wir morgen Abend essen?«, fragte ich also.
»Nein, morgen muss ich …« Sie unterbrach sich; ihre so wunderbar kühlen graublauen Augen verengten sich für eine Sekunde, dann nickte sie entschlossen. »Ja. Morgen. Hol mich um acht ab.«
Ich lächelte. »Ins ›Schiffchen‹?«
Ihr Zeigefinger deutete exakt auf meine Nasenwurzel. »Das ist mir egal. Von mir aus auch zu Gianni oder zu Burger-King. Hauptsache, du kommst. Morgen Abend um acht ist deine letzte Chance, Tiberius Josephus.« Sie warf mit einer Kopfbewegung ihre dunkelblonden Locken über die Schulter und rauschte hinaus. Ich lächelte ihr nach. Es gelang ihr immer wieder, mich zu beeindrucken.
Mühsam geduldig wartete ich auf Frau Wolter. Sie hatte mir versichert, in der Lage zu sein, ihre Aufpasser abzuhängen und nicht länger als dreißig Minuten ins »Mühlhaus« zu brauchen. Als ich endlich nach vorn ging, um meinen dritten Scotch zu bestellen, war sie eine Dreiviertelstunde überfällig, und mein Gefühl sagte mir, dass sie nicht mehr kommen würde. Die wahrscheinlichen Implikationen wollten mir nicht gefallen. Ich bat den Jungen hinter der Theke um das Telefon und rief Wolters Privatnummer an; es läutete, bis der Anrufbeantworter ansprang.
Katja kam aus dem Gastraum. »Na, hat sie dich versetzt?«
»Sieht so aus.« Meine Miene hielt sie von weiteren Bemerkungen ab.
»Probleme?«, fragte sie.
»Probleme.« Ich ließ den Abend Revue passieren und verzog das Gesicht. »Hast du gehört, was in der Akademie passiert ist?«
»Ja. Ein Gast hat es mir eben erzählt. War ja wohl völlig irre, die Sache.«
»Ich war da.«
Ihre Augen weiteten sich erschreckt, ganz kurz, um sich dann sofort wieder zu verengen. »Na, verletzt worden bist du ja nicht.« Sie presste das Tablett gegen die Hüfte. »Mal wieder Glück gehabt, was, Jo?« So etwas wie ein Lächeln spielte um ihren Mund. Es sah wie Erleichterung aus.
»Du bist ungerecht«, sagte ich. »Auf die Dauer ist das Glück …«
»… mit den Dummen«, fiel sie mir ins Wort.
»… mit den Tüchtigen, wollte ich eigentlich sagen.«
Jetzt lächelte sie tatsächlich. »Und was ist mit deiner Verabredung?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass sie Probleme hat«, sagte ich.
»Kann ich dir helfen?« Ihr Blick verriet, dass sie diese Frage sofort bereute.
»Im Moment nicht«, sagte ich und reichte dem Jungen hinter der Theke einen Zwanziger. Ich winkte ab, als er nach Wechselgeld suchte.
»Morgen. Um acht«, sagte Katja und sah mir in die Augen.
»Informierst du mich, falls sie noch auftaucht?«
»Natürlich«, sagte sie, und ich hauchte ihr einen Kuss auf die Wange, bevor ich hinausging.
* * *
Herr Kim ließ den Wagen langsam an Wolters Haus vorbeirollen. Licht war keines zu sehen. Vor der Haustür parkte ein mit zwei Mann besetzter grauer Passat. Entweder war Frau Wolter unbemerkt entkommen, oder sie war noch drin.
»Weiterfahren?«, fragte Herr Kim.
»Ja. Biegen Sie da hinten ab und halten Sie nach hundert Metern an.«
»Ich warte hier«, sagte ich, als der Wagen zum Stehen kam. »Fahren Sie zurück und klingeln Sie, bis jemand aufmacht. Ich muss wissen, ob Frau Wolter zu Hause ist. Falls die Polizisten aus dem Passat Sie ansprechen, sagen Sie, Sie seien bestellt worden.«
»Das können die nachprüfen«, antwortete er.
»Deswegen werde ich jetzt gleich mehrere Wagen bestellen. Sie werden also nicht allein da stehen. Sollte es Probleme geben, machen Sie sich dünne und rufen mich an.«
Er nickte und grinste ein wenig. »Es gefällt mir, wie Sie arbeiten«, sagte er. »Auch wenn ich nicht weiß, um was es geht.«
»Eins nach dem anderen«, sagte ich und stieg aus.
Mit dem Handy rief ich den Taxiruf an und bestellte drei Wagen zu Wolters Haus. Dann stand ich fröstelnd im Regen und wartete. Immer wieder sah ich auf mein Handy und überprüfte den Empfang. Es hatte ein stabiles Netz, aber weder Frau Wolter noch Katja noch Herr Kim oder Friedel gaben Laut. Erstaunt stellte ich fest, dass ich leise vor mich hin fluchte, und konstatierte widerwillig eine zunehmende Nervosität und ein ziehendes Gefühl zwischen
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