Kunstblut (German Edition)
den Augen, das ich nur selten verspürte: Ich war müde. Es dauerte endlose zehn Minuten, bis die Scheinwerfer von Herrn Kims Taxi wieder auftauchten.
»Keiner da«, sagte er. »Mit den anderen drei Wagen war ein solcher Lärm auf der Straße, dass die gesamte Nachbarschaft aufgewacht ist. Nur in ihrem Haus hat sich nichts gerührt.«
»Haben die Polizisten Sie angesprochen?«
»Ja. Und die schienen ziemlich beunruhigt, dass da keiner aufgemacht hat.«
Die Bullen glaubten also, Frau Wolter sei zu Hause, und ich hatte das ungute Gefühl, dass sie richtig lagen. »Sie können nicht zufällig Polizeifunk empfangen?«
»Das ist verboten«, antwortete Herr Kim ernsthaft.
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
Er öffnete die Klappe des Faches auf der Mittelkonsole und nahm einen kleinen Funkscanner heraus. Er schaltete das Gerät ein und drückte ein paar Tasten. Aus dem Lautsprecher kam Rauschen, dann eine Kennzeichenüberprüfung, eine Hilo, nichts Außergewöhnliches.
Dann ein Anruf von der Zentrale. »Düssel für Düssel 1278. Anweisung von Leiter K 1: Gehen Sie rein, Gefahr im Verzug.«
»Düssel 1278 für Düssel, bitte um Bestätigung: Gefahr im Verzug?«, antwortete eine unsicher klingende Stimme.
»Bestätige: Gefahr im Verzug, Düssel 1278.«
»Kriegen wir Verstärkung?«
»Zurzeit keine weiteren Kräfte verfügbar, Düssel 1278. Hinweis auf Eigensicherung.«
»Verstanden«, war die kleinlaute Antwort.
»Soll ich Sie hinbringen?«, fragte Herr Kim.
»Was soll ich da? Verdächtig werden?«
Schweigend warteten wir, bis die Meldung kam.
»Düssel 1278 für Düssel. Das Haus ist leer. Die überwachte Person ist abgängig.«
»Verstanden, Düssel 1278«, war die lapidare Antwort, bei der es kaum bleiben würde. Fahrenbach würde Düssel 1278 noch gewaltig den Marsch blasen.
»Und jetzt?«, fragte Herr Kim.
»Mintropstraße«, antwortete ich.
* * *
Friedrich Piehlmann, der sich aus Imagegründen den Künstlernamen Ferrari-Freddy zugelegt hatte, saß in derselben Nische seines Ladens, in der er seit fünfzehn Jahren jede Nacht saß. Es war faktisch sein Büro. Nur zwei der anderen Nischen waren besetzt. Auf einem Fernseher hinter der Theke lief ein sehr gewöhnlicher Porno. Mehrere Damen langweilten sich an der Bar, und obwohl ich wusste, dass nicht alle demselben Geschlecht angehörten, konnte ich nicht erkennen, welche nicht echt waren. Aus den Lautsprechern dröhnte überlaut eine Abba- CD . Freddy blätterte konzentriert in einem Ordner mit Rechnungen und Belegen, eine Lesebrille auf der Nasenspitze. Sein Tisch verfügte als Einziger über eine Lampe, die diese Bezeichnung verdiente. Ihre Strahlen durchdrangen die schütter werdende, blond gefärbte Minipli und ließen seine Kopfhaut rosa aufleuchten.
Ich trat zu ihm und klopfte auf den Tisch. Ohne den Kopf zu bewegen, sah er mich an. Er wies auf den Stuhl gegenüber, und ich nahm Platz. Eine tief dekolletierte Mulattin trat zu uns an den Tisch, aber Freddy verscheuchte sie mit einer Handbewegung.
»Ich hatte früher mit dir gerechnet, Jo«, sagte er und blätterte weiter in seinem Ordner. »Du kommst wegen Egon.«
»Nein. Ich komme wegen seiner Frau.«
»Ursula? Was ist mit ihr?« Er schob den Ordner weg und stieß sich mit dem Zeigefinger die Brille von der Nase, sie baumelte an einer dünnen goldenen Kette vor seinem ausladenden Bauch.
»Ich könnte mir denken, dass sie in Schwierigkeiten ist«, sagte ich.
»Ursula war noch nie in Schwierigkeiten. Worum geht’s?«
»Um ein Blatt mit Zahlen, das Egon hinterlassen hat und das jetzt jemand von ihr haben will.«
»Jemand?«
»Jemand. Wenn du nicht weißt, wer es ist, wissen wir es beide nicht.«
»Und warum sollte ich das wissen?«
»Sollst du gar nicht.«
»Was willst du dann hier?«
»Ich bitte um deine Hilfe.«
»Du? Mich?« Er faltete seine behaarten Pranken auf der Tischkante. Ich zählte sieben Goldringe.
»Hilfe für sie . Du kennst sie besser als ich, nehme ich an. Ich wusste bis gerade nicht mal ihren Vornamen. Aber ich weiß, dass sie Probleme hat. Hast du eine Ahnung, wo sie stecken könnte?«
»Glaubst du wirklich, ich würde es dir sagen, wenn ich es wüsste? Woher soll ich denn wissen, dass du nicht ihr Problem bist?« Sein Blick aus den wasserblauen Augen war kalt und wach.
»Das kannst du nicht. Also wirst du sie fragen müssen.«
»Dann werde ich das tun, wenn ich sie sehe«, sagte er. Seine Augen ließen mich nicht für einen Sekundenbruchteil los.
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